Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
Vom Netzwerk:
Geheimcodes, um zu signalisieren, was er aufgetrieben hatte. Jedes Getränk hatte einen eigenen Namen. Whiskey war Agha Wafa. Gin war Agha Dschamshid und so weiter. Er sagte dann: »Komm vorbei, mein Freund. Agha Wafa und Agha Dschamshid sind zu Besuch hier. Komm und plaudere ein wenig mit uns.«
    In der riesigen, aber dämmerigen Küche holt Saba etwas
lavash
-Brot aus dem Ofen und trägt es zusammen mit frisch gepflückter Petersilie und Minze und einer Schale Joghurt ins Wohnzimmer. Sie stellt das Essen auf den
sofreh
und reicht ihrem Vater ein kühles, feuchtes Tuch. Er lächelt, legt es sich auf die Stirn und lässt sich nach hinten in die weichen tiefroten Kissen sinken. Als Mullah Ali sie für den
sofreh
lobt, fischt sie eine tote Biene aus der Schale mit Honigwaben und legt sie auf einen benutzten Teller zwischen ihm und dem Essen. Ihr Vater blickt sie missbilligend an, doch der Mullah merkt es gar nicht. Er beugt sich über die Biene und nimmt einen Löffel frische Sahne.
    In Momenten wie diesen träumt sie von Amerika und nimmt sich fest vor, dass sie eines Tages dorthin reisen wird. Die meisten ihrer Hauslehrer können ihr längst nichts mehr beibringen, doch ihr Vater spricht nie davon, dass sie studieren soll. Sie weiß, dass er Angst hat, sie gehen zu lassen, dass er denkt, sie wäre zu anfällig, doch alle ihre Teheraner Freunde bereiten sich jetzt auf ihren Studienbeginn vor. Saba hat das Thema auch von sich aus nie angesprochen, denn sie weiß, wenn sie im Iran auf die Universität geht, wird sie sich für
dieses
Leben entschieden haben. Sie weiß, was aus iranischen Ärzten und Ingenieuren in Amerika wird. Sie fahren Taxi. Nein, sie wird nicht hier studieren. Sie wird Romane lesen und ein fehlerfreies Englisch sprechen, und sie wird sich retten. Eines Tages wird sie Jeans und Haarspangen zur Uni tragen. Wird sich während einer Vorlesung frech die Fingernägel lackieren, wie sie das mal in einem Film gesehen hat. Sie wird Journalistin werden, und sie wird ihre Mutter finden.
    Kurze Zeit später kommt Reza. Saba setzt sich auf und denkt sich Möglichkeiten aus, wie sie mit ihm durchbrennen könnte. Wenn Ponneh hier wäre, könnten sie drei sich gemeinsam davonschleichen, und Reza würde Saba nicht verdächtigen, ihn zu lieben. Mit achtzehn ist Reza ungewöhnlich groß für einen Iraner und Zielscheibe neidischer Witze. Er trägt das Haar lang, länger, als die frommen Männer es tragen. Es ist seidig und glatt und fällt ihm schön ums Gesicht. Es erinnert sie an die französischen Touristen, Studenten, die einmal zu Besuch hier waren, als Saba acht war. Sie mag seine westliche Kleidung, seine Weigerung, sich die Gesichtsbehaarung mehr als einen Millimeter wachsen zu lassen, seinen Dialekt und seine Liebe zur Musik. Sie mag es, dass er sich bedankt, wenn sie den Tee serviert, ganz anders als sein älterer Bruder, der seine Frau nicht mal ansieht, wenn sie ihm irgendwas bringt. Sie mag sogar die andächtige Art, wie er auf seine Mutter hört oder bedenkenlos die Traditionen verteidigt, die in Gilan gepflegt werden.
    Erhitzt vom Fußballspiel, streicht er sich die verschwitzten schwarzen Haare aus der Stirn. Seine Schultern sind entspannt, sein Lächeln erfüllt vom frisch errungenen Sieg. Vom Fenster ihres Zimmers aus hat Saba ihm zugesehen, wie er mit Sandalen an den Füßen Hunderte mühelose Tore erzielt hat. Er muss wissen, dass sie ihn beobachtet, weil er jeden Tag an derselben Stelle spielt und dann an ihr Fenster klopft, um zu fragen, ob sie neue Musik bekommen hat. Sein Ball ist noch immer derselbe wie damals, als sie Kinder waren.
    »Agha Hafezi, wann wollen Sie Ihre Tochter verheiraten?«, fragt einer der schwarzbärtigen Mullahs in großväterlichem Ton, obwohl er viel jünger ist als ihr Vater. Sie zuckt zusammen und schielt zu Reza hinüber, der zuerst keine Reaktion zeigt und sie dann schwach mitleidig anlächelt, wie er das immer tut, wenn die Erwachsenen über ihre Heiratsaussichten sprechen. Sie blickt Hilfe suchend Khanom Omidi an, doch die ist zu sehr damit beschäftigt, mit langen Fingernägeln die Lücken zwischen ihren gelben Zähnen zu säubern.
    »Sie ist erst achtzehn«, sagt ihr Vater.
    »Zu alt, würde ich sagen«, entgegnet einer der Mullahs, der Saba von Minute zu Minute wütender macht mit seiner ungehobelten Entspannungshaltung – ein Bein ausgestreckt, das andere angezogen, sodass ihm das Knie gegen den Bauch drückt, und eine Hand, die ein Brot hält, übers Knie

Weitere Kostenlose Bücher