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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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wundersamen Leichtigkeit, mit der seine in Sandalen steckenden Füße einen Fußball kicken. Saba hebt die Arme, sodass sie zu einem sich windenden Heiligenschein um Gesicht und Oberkörper werden. Sie neigt den Kopf nach hinten und lässt ihr langes Haar offen fallen, weiß, dass das zu dieser dämmrigen, späten Stunde niemand missbilligt. Keiner wird ein böses Wort darüber verlieren. Sie wird geliebt, obwohl sie am Rande der Gefahr taumelt – ein Mullah schläft genau hier, inmitten von so viel Frevel. Wie berauschend! Trotz der Risiken schnürt sich ihr nicht der Hals zu. Sie fühlt sich lebendig – kein Meer wartet darauf, sie zu verschlingen, keine Mahtab im Spiegel.
    Reza bewegt seinen Kopf zur Musik. Kurz bevor das Lied endet, dreht Saba sich um und sieht den melancholischen Ausdruck, mit dem er Ponneh betrachtet, die sich auf der anderen Seite des Raumes an ein Kissen lehnt. Er verspielt sich kurz und formt mit den Lippen ein stummes
Es tut mir leid
, doch ganz gleich, wie oft sie die Worte im Geist Revue passieren lässt, kann Saba sich nicht entscheiden, ob sie ihr galten.
    Sie verdrängt die Frage. Dieser Augenblick ist zu kostbar, um ihn zu vergeuden. Ihr Haar flattert ihr über Arme und Wangen, weckt hundert schlafende Empfindungen. Ihre Finger greifen nach jedem Ton, als würden sie Federn im Wind nachjagen. Sie schweben über ihrem Körper und ihrem Gesicht, dem Körper und Gesicht einer jüngst erwachsen gewordenen Mahtab jenseits des Meeres, und sie dreht sich auf dem verblassten Teppich zu Rezas Lied, bis alle Zwänge und aller Anstand von ihr abfallen und sie wieder sie selbst ist.

Heiratsantrag
    Khanom Basir
    M an könnte sagen, dass sehr viele von uns die Mädchen hier großgezogen haben. Vor der Revolution kamen sie nur im Sommer her, tanzten in ihren ärmellosen rosa Kleidern herum, die in großen Londoner Geschäften bestellt wurden, und die anderen Kinder folgten ihnen fasziniert. Sie pflückten Orangen und lümmelten sich unter Bäumen und lasen ihre englischen Geschichten. Sie fuhren mit ihren Eltern zu Stränden, die von Männern und Frauen gemeinsam besucht wurden. Sie saßen hinten auf Motorrädern, ließen ihre Haare flattern und sahen den Arbeitern auf den Feldern zu. Sie liebten die feuchte Luft des Nordens, das endlose Grün des Shomal. Aber der Shomal, den die Teheraner kannten, war eine andere Welt als unsere. Daran hat sich nichts geändert.
    Wissen Sie, nach einer halben Autostunde in eine Richtung ist man am Kaspischen Meer, wo sich gut gekleidete, Englisch und Französisch sprechende Touristen mit ausländischen Universitätsabschlüssen tummeln und in westlichen Villen Gott weiß was tun. Nach einer halben Autostunde in die andere Richtung befindet man sich auf holprigen Straßen in den Bergen. Falls Sie jemals in den Shomal kommen, sollten Sie sich
das
anschauen: Esel und Pferde, die Männer mit Käppchen und Frauen in bunten, mit Klimperkram verzierten Kleidern in die Wälder tragen, zu ihren ungetünchten Häusern aus getrocknetem Schlamm oder mit Heu gespicktem Lehm. Und das Stroh, das aus den Wänden ragt und ihre unglaublich niedrigen Dächer bedeckt. Ich mag diese ruhigen Gegenden in den Bergen, die Wildblumen und das Heulen der Schakale, die Wasserquellen und die von Federn übersäten Hühnerställe.
    Vor der Revolution kamen die Teheraner her, um einer Welt aus zu lauter Musik, westlichem Fernsehen, schicken Partys und von zahllosen Schneidern maßgefertigter Kleidung zu entfliehen. Und was fanden sie hier? Bloß uns dör f liche Reisbauern in unseren Gilaki-Gewändern. Jetzt kommen sie, um den allgegenwärtigen
pasdars
und Krawallen und einem Leben in Heimlichkeit zu entfliehen. Und was finden sie hier? Bloß uns dör f liche Reisbauern in unseren Gilaki-Gewändern. In Cheshmeh, wo wir schon vor 1979 Wert auf Anstand legten und uns nach 1979 weigerten, fanatisch zu werden, gibt es Tage, an denen man vergessen kann, dass die Welt sich verändert hat – es sei denn, du bist ein Hafezi.
    In der guten alten Zeit gingen die Hafezi-Mädchen in unseren Häusern ein und aus, und wir gaben ihnen aus unseren Küchen zu essen, gerührt davon, wie wenig sie die Unterschiede zwischen ihnen und uns wahrnahmen. Natürlich gab es Regeln. Die Hafezis sorgten dafür, dass wir die Mädchen nie wie unseresgleichen behandeln konnten.
Nur korrektes Farsi
, sagte Agha Hafezi.
Kein Gilaki mit den Mädchen
. Und das, obwohl er selbst es mit den Arbeitern in seinen Reisfeldern sprach.

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