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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Saba lernte irgendwann, zwischen Farsi und Gilaki hin- und herzuwechseln (
Khuda daneh
, brabbelte sie dauernd, wie ein altes Weib). Mahtab sprach nie etwas anderes als Farsi und Englisch. Nur daran waren die beiden immer auf Anhieb zu unterscheiden.
    Ich sah damals schon, dass Saba der Zwilling war, der den Gilaki-Geist ihres Vaters geerbt hatte und nicht diesen verrückten ausländischen Geist ihrer Mutter. Einmal, als sie gerade sieben Jahre alt war, machte sie meinem Sohn einen Heiratsantrag. Niedlich, ja, ja. Sie wollte eine von uns werden. Aber es versalzte mir den Magen mit Sorge. Die Zwillinge verbrachten einen ganzen Tag damit, ein
khastegari
-Geschenk zu basteln. Es war gefüllt mit Keksen und Münzen, die sie gespart hatten, und – das gefiel mir besonders, weil es etwas war, das man eigentlich nur einer entfernten Verwandten schenkt – einem Bild von ihrer Mutter als junger Frau, um zu zeigen, wie schön Saba werden würde. Sie stibitzten etwas Make-up und bemalten Saba in allen Regenbogenfarben. Was für ein Anblick. Sie kauften sogar ein Stück Spitze für den Schleier.
    Vor meinem Haus verläuft eine Landstraße, die sich zwischen den Hügeln hindurchwindet. Und wenn man am Fenster steht, erkennt man in der Ferne das Haus der Hafezis. Es steht höher, ganz allein auf einem Hügel, an einer größeren Straße. Ich konnte sie also schon von Weitem kommen sehen. Eine Schwester versteckte sich hinter einem Baum in der Nähe, während die andere an meine Tür klopfte. Ich machte auf. »Und welche bist du?«, fragte ich, obwohl ich es wusste. Ich wollte Saba die Peinlichkeit mit diesem lächerlichen Schleier ersparen. Und auf einmal war Reza da, tauchte in Unterwäsche in der Tür auf und verstand rein gar nichts, der arme Junge. Wie hätte er auch wissen sollen, was in den Köpfen von Mädchen vor sich geht, die zu viel lesen?
    Als ich Saba wieder wegschicken wollte, kam Mahtab aus ihrem Versteck angerannt, stemmte die kleinen Fäuste in die Hüften und sagte zu mir: »Sie sind eine gemeine alte Frau. Wir haben unser ganzes gespartes Geld für den
khastegari
ausgegeben. Wir haben sogar Khanom Omidis Schatz-Tschador geplündert!«
    Ha! Da sehen Sie, was passiert, wenn man Mädchen sich selbst überlässt, ihnen wachsen ein vorlautes Mundwerk und lange diebische Finger, die sie ganz sicher in die Hölle bringen werden.
    Pfiffig, wie sie waren, wussten die beiden natürlich, dass ich ihre Eltern anrufen würde. Also versteckten sie sich den Nachmittag über und trieben Schabernack mit ihrem Strohkopf von Vetter. Sie hatten eine Menge Spaß damit, irgendwelche Geschichten für ihn zu erfinden, weil Kasem so leichtgläubig war. Eines der größten Rätsel dieser Welt ist, dass ein Junge wie er vergöttert und verhätschelt werden kann wie ein Pascha, wo er doch ganz offensichtlich ein Esel ist. Aber so ist das nun mal mit Jungen. Denken Sie nicht, dass ich das nicht sehe, bloß weil ich Söhne habe. Ich weiß, was Mädchen durchmachen. Auch wenn ich keine von diesen Feministinnen aus der Stadt bin, bin ich noch lange nicht blind. Es brach mir das Herz, wenn ich mit ansehen musste, wie ihr Vater Kasem lobte und ihn auf den Schoß nahm, während Saba und Mahtab zusahen wie zwei hungrige Waisenkinder in überteuerten Kleidern.
    Jeden Tag sah ich von meinem Fenster aus, wie ihr Vater zur Arbeit fuhr und die Mädchen hinter ihm herliefen und darum wetteiferten, welche von ihnen seine Aufmerksamkeit länger fesseln konnte. Und wenn wir abends alle an ihrem
sofreh
aßen und das Haus voller Menschen war und keiner auf die Mädchen achtete, hörte ich, wie sie darum zankten, welche von ihnen später über seinen schmerzenden Rücken gehen oder ihm Tee reichen dürfte. Und sie stritten sich auch darüber, was besser war: wie Agha Hafezi einmal in ihre Schule kam und verlangte, dass irgendein schmuddeliger Junge, den Mahtab »liebte«, mit ihr spielen müsse, oder wie er einmal in Feierstimmung nach Hause kam – er hatte ein neues Stück Land gekauft – und nur Saba hochhob und sich mit ihr immerzu im Kreis drehte, bis sie so tat, als würde sie ohnmächtig.
    Dennoch, es ist nicht Agha Hafezis Schuld, dass die Mädchen nach seiner Liebe hungerten. Er wusste es nicht besser. Er war ein glücklicher, harter Mann. Er hatte ja Bahareh dafür, sich um die täglichen Bedürfnisse der Mädchen zu kümmern. Seine Aufgabe war es, sie zu ernähren, sie zu beschützen. Welcher sorglose Mann denkt schon darüber nach, wie er Nähe

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