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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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den Bildschirm. Zuerst stupst Khanom Mansuri ihren Mann an, und dann schaut auch er gebannt zu. »Was in Gottes Namen machen die da?«, ruft er.
    Es war der Vorspann einer amerikanischen Serie namens
Familienbande
. »Warum umarmen die sich alle?«, fragt Agha Mansuri. Dann sieht er, wie der Fernseh-Ehemann Agha Keaton seine Frau Khanom Keaton küsst, und er macht große Augen. »
Vai
, hast du das gesehen, Khanom?«
    »Das ist eine amerikanische Serie«, sagt Saba belustigt. »Soll ich erklären, worum es geht?«
    Der alte Mann bedeutet ihr mit einem Winken, still zu sein, während die erste Szene beginnt. Er schiebt sich näher an den Fernseher heran, als könnte er die schnellen, knisternden englischen Worte verstehen.
    Auf der Mattscheibe legt Khanom Keaton den Telefonhörer auf, und Agha Keaton macht ihr Vorwürfe.
»Ei vai«
, sagt Agha Mansuri fassungslos. »Schau sich das einer an. Jetzt streiten sie sich.«
    Khanom Mansuri lacht leise, wahrscheinlich, weil er so bestürzt klingt.
    »Sie streiten sich nicht«, sagt Saba. »Er sagt nur –«
    »Schsch, Saba-dschan«, sagt Agha Mansuri. Und dann wirft er die Hände in die Luft. »
Vai
, seht nur, was die da zeigen! Keine Scham …« Khanom Keaton setzt sich auf den Schoß ihres Mannes. Küsst ihn auf den Mund, den Hals und murmelt beruhigende Worte. Agha Mansuri schlägt sich mit einer Hand auf den Rücken der anderen. »Gott steh uns bei …«
    Saba hat diese Folge schon zweimal gesehen. Wieder einmal erklärt Alex P. Keaton seinen liberalen Eltern, dass er unbedingt nach Princeton gehen muss.
Was ist dieses Princeton?
, wunderte Saba sich beim ersten Mal, weil ihres Wissens in Amerika nur ein College zählte, und zwar Harvard. Ein bisschen so wie die Teheraner Universität – ein akademisches Zentrum umringt von dör f lichen Institutionen. Aber inzwischen weiß Saba Bescheid. Sie hat dieses Princeton recherchiert – eine Universität, die auch Sondra Huxtable von der
Cosby Show
ausgebildet hat, obgleich sie kein blasser Prinz ist – und alle ähnlichen Colleges, deren Namen nicht mal die gebildete Iraner Elite kennt.
    Saba kann Alex’ Auseinandersetzung mit seinen Eltern nachvollziehen. Sie ist Kapitalistin, genau wie der ehrgeizige Alex. Aber sie lebt in Gilan, dem Geburtsort der Kommunistischen Partei Irans, dem Land von Mirza Kuchik Khan und seiner sozialistischen Dschangali-Bewegung, die damals, als die Mansuris noch sehr jung waren, in Gilans Wäldern für die Geknechteten und die Bauernklasse kämpften. Wenn die beiden Alten Englisch verstehen würden, würden sie Alex’ Hippie-Eltern recht geben.
    Aber Agha und Khanom Mansuri achten nicht auf Sabas Versuche, die Handlung zu erklären. Als sie ihnen erzählt, dass Alex P. Keaton sich die Studentenwohnheime von Princeton anschaut, sagt Khanom Mansuri: »Nein, nein, der Junge da muss sein Vetter sein. Die sehen genau gleich aus.« Als Saba einen Dialogteil übersetzt, hört Agha Mansuri gar nicht hin und berührt den Bildschirm knapp oberhalb der orange-blauen Bettdecke. »Wir hatten auch mal so eine Decke. Weißt du noch, Khanom? An dem Tag, als Hasan sie gebracht hat, haben wir Tee verschüttet.« Worauf seine Frau erwidert: »Es war Suppe. Wo ist das alte Ding überhaupt geblieben? War das wirklich eine
amerikanische
Decke?«
    Als es so scheint, als wären die beiden in ihre Erinnerungen versunken – sie redet von früher, und er nickt, löst Pistazienkerne aus der Schale und wirft sie in eine Schüssel –, will Saba den Fernseher ausschalten, doch Agha Mansuri protestiert lautstark. »
Aiiiie
. Warte. Wir schauen doch noch zu. Das ist schändlich, Khanom … schändlich.« Dann beugt er sich vor und drückt Saba einige Pistazienkerne in die Hand. Er wacht darüber, dass sie sie isst, als wären sie Medizin.
    In siebzig Jahren wird Sabas eigener Mann sie vielleicht »Mrs« nennen, anstatt sie mit Vornamen anzureden. Vielleicht wird er ein liebes, zahnloses Lächeln haben, Nüsse für sie knacken und sich darum sorgen, wie viel sie isst. Falls sie Reza heiratet, macht er das alles ganz bestimmt.
    Sie sehen sich drei Stunden lang Serien an, überspringen keine einzige Werbung, bis das Band sechs Folgen abgespult hat, darunter auch eine von
Unser lautes Heim
und eine halbe Folge von
Wunderbare Jahre.
Saba mag amerikanische Highschools. Sie fragt sich, wie es wohl wäre, jeden Tag in so eine Schule zu gehen – mit einem Spind für ihre verbotenen Bücher und einem Jungen, der den Spind

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