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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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zu seinen kleinen Töchtern aufbauen kann? Sie sind nicht so einfach wie Jungen.
    Aber er machte sich Gedanken, und er arbeitete schwer für sie – ich schwöre, das ist die Wahrheit. Er krempelte seine Hosenbeine hoch und ging zusammen mit seinen Arbeitern durch die nassen Felder. Das habe ich noch bei keinem anderen Landbesitzer gesehen. Er ist hier aufgewachsen, müssen Sie wissen. Sein Vater hat das große Haus gebaut, und der Sohn hängt daran, obwohl er eine Städterin geheiratet hat. Im Herzen ist er ein Gilaki, wie Saba. Manchmal sieht man ihn im schicken Regenmantel und mit einem großen Schirm ausgestattet, wie er dies oder das inspiziert. Manchmal trägt er luftige Arbeitshosen aus Baumwolle und eine Strickmütze und raucht mit den alten Männern hier im Kaffeehaus. Einmal hab ich gehört, wie er ein paar Worte Gilaki zu Ponneh sagte, als sie kam, um mit seinen Töchtern zu spielen. Er sagte: »Was macht die Schule? Ich schenk dir ein neues Kleid für jedes Jahr, das du abschließt.« Aber schon damals war Ponneh zu stolz – und jetzt kann sie sich ihre eigenen Kleider nach alten Mustern nähen oder nach neuen, die sie sich von den Touristinnen abschaut.
    In letzter Zeit hat Agha Hafezi schlechte Gewohnheiten angenommen. Er hat es nicht geschafft, seine Familie zu beschützen, und Saba ist die Einzige, die ihm geblieben ist. Er ist weicher, voller Trauer, wird von Fragen des Geistes gequält. Er spürt Sabas Wert und versucht, Versäumtes wiedergutzumachen, aber er weiß nicht, wie. Das kann er auch nicht, weil er ihr Herz nicht kennenlernte, als sie noch jung und bereitwillig war.
    Vielleicht ist es zu spät für die beiden. Vielleicht sollte Saba diese Spielchen mit meinem Sohn bleiben lassen und einen Mann heiraten, der auch ihren Vater ersetzen kann … jemand Älteren, Stärkeren. Aber das wird sie sich niemals eingestehen. Sie gehört zu der Sorte Frauen, die sowohl die Datteln als auch den Esel haben wollen, die niemals Kompromisse eingehen. Aber diesmal wird sie es müssen. Mein Sohn ist bereits verliebt. Und für Saba, so glaube ich, wäre Abbas Hossein Abbas genau der Richtige.

Kapitel Vier
    Herbst 1988
    W enn Khanom Mansuri und ihr Mann zu Besuch im Haus sind, ist das so, als wäre gar kein Besuch da. Saba nennt Khanom Mansuri die Uralte, nicht nur, weil sie zwanzig Jahre älter ist als die anderen Ersatzmütter in ihrem Leben, sondern auch, weil sie andauernd einschläft oder mit sich selbst redet. Sie verlangt keine Gesellschaft, keine Bewirtung, keinerlei Anstrengung. Wenn ihr Mann sie bei einem Besuch begleitet, fühlen Saba und ihr Vater sich nicht verpflichtet, im selben Raum mit ihnen zu bleiben. Das alte Paar unterhält sich eine Weile, isst etwas, trinkt Tee, und irgendwann entdeckt einer von den beiden irgendetwas Ungewöhnliches – ein Kissen in einer Farbe, die ihr nicht gefällt, oder das Telefon oder ein Bild von Sabas Mutter in der Ecke –, und erst dann bemerken sie, dass sie nicht im eigenen Haus sind, und gehen wieder. Agha Mansuri führt gerne vor, dass er sich um seine Frau kümmert, und Saba weiß, dass sie, um den alten Mann nicht zu beleidigen, ein Tablett mit Äpfeln und Gurken hereinbringen und vor ihm abstellen muss, niemals vor seiner Frau. Dann kratzt er zwanzig Minuten lang das Innere der Früchte in eine Schale und fängt an, sie damit zu füttern. Saba fragt sich, ob er das schon immer gemacht hat oder ob er sich damit das Gefühl verschafft, auch im hohen Alter noch zu etwas nütze zu sein – denn wenn die Frauen allein zusammenkommen, ist seine Frau durchaus in der Lage, mit ihren gesunden Backenzähnen feste Apfelscheiben zu zerbeißen.
    Heute ist das Paar länger als sonst geblieben, und Saba hat beschlossen, sich ein Video anzuschauen, anstatt ihrer Diskussion darüber zu lauschen, ob sich das große Unwetter, das ihr erstes Haus zerstörte, im vierten oder sechsten Jahr ihrer Ehe ereignete. Sie setzt sich im Wohnzimmer auf den Boden und schaltet Fernseher und Videorekorder ein. Sie wählt eine Kassette mit wahllosen Folgen verschiedener beliebter amerikanischer Fernsehserien, die der Teheraner auf ihre Bitte hin für sie aufgenommen hat. Der Ton ist ein bisschen verrauscht, die Dialoge schwer zu verstehen, aber abgesehen von einigen Sätzen in unmöglichem amerikanischem Slang kann jemand mit Sabas ausgezeichneten Englischkenntnissen der Handlung folgen. Als die erste Sitcom gerade angefangen hat, lenkt die Musik die Aufmerksamkeit des alten Paares auf

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