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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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tatsächlich leichter ein Visum. Und sobald sie verheiratet ist, wird sie die enge Welt lediger Frauen mit ihren sündigen Wangenküssen und der ewigen Sittsamkeit verlassen. Sie wird schmutzige Witze machen können und laut lachen und Verbotenes trinken, ohne sich in der Vorratskammer verstecken zu müssen. Würde Mahtab es so sehen? Und zieht sie diese Heirat ernsthaft in Erwägung?
    »Eine Weile noch, ja, aber ich kann dich nicht für immer zurückhalten.« Er nimmt ihre Hand. »Du bist ein intelligentes Mädchen. Überleg doch mal, was für ein kluger Schachzug das ist. An der Uni geht es nicht mehr so fröhlich oder frei zu wie zu meiner Zeit – du darfst keine zwei Worte mit den jungen Männern da reden. Und du hast jetzt schon mehr Bücher gelesen als die Absolventen. Die Ausbildung da ist rein islamisch, es gibt kaum noch Professoren. Außerdem haben wir Geld. In ein paar Jahren kannst du einen akademischen Abschluss machen.« Er hustet in seine Hand. »Ich hab gehört, was Ponneh heute zugestoßen ist. Dr. Zohreh, die Freundin deiner Mutter, hat’s gesehen.«
    Saba erinnert sich an die Frau in der Menschenmenge, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Khanom Omidi murmelt
»Ei vai«
und wedelt mit der Hand, als wollte sie einen unangenehmen Geruch vertreiben. So viel Schande an einem Tag.
    »Solche Dinge stoßen ledigen Frauen andauernd zu«, sagt Agha Hafezi. »Als Ehefrau wärst du geschützter. Du hättest mehr Freiheiten – der Mann ist alt und halb blind. Es wird ihm egal sein, was du tagsüber so machst. Er ist die beste Alternative. Reza ist nicht der Richtige für dich. Er ist bloß ein Junge. Er ist schwach, ungebildet, mittellos.
Will
er dich überhaupt heiraten? Bitte, Saba-dschan, wenn du zustimmst, kann ich aufhören, mir ständig Sorgen um dich zu machen.«
    »Oder
du
könntest mich beschützen«, sagt Saba leise und sieht, wie sich die Nasenlöcher ihres Vaters weiten. Sie wissen beide, dass er das bereits versucht hat. Seine Miene wird weicher, und er widerspricht nicht. Sie fühlt sich besiegt. »Ich möchte ja bei dir bleiben … aber die Universität kommt mir nicht so sehr wie eine Strafe vor.«
Vielleicht
, denkt sie,
wäre das eher etwas, das Mahtab machen würde.
Oder doch nicht? Vielleicht würde Mahtab Reza überreden, nach Amerika zu fliehen. Vielleicht würde sie den alten Mann heiraten und auf bessere Zeiten warten, bessere Angebote in dickeren Briefumschlägen von fernen Orten. »Khanom Basir wird denken, sie hat gewonnen.«
    »Überhaupt nicht … Das Ganze ist doch keine gewaltige Tragödie«, beteuert Khanom Omidi, die ewige Meisterin des
maast-mali
. »Wir streichen einfach nur ein kleines bisschen Joghurt drüber. Später wird sich keiner mehr an den genauen Ablauf der Dinge erinnern.«
    »Es ist die einzig richtige Entscheidung«, sagt ihr Vater. »Er ist ein guter Mann.«
    Saba überdenkt ihre Optionen. Während sie auf dem Bett sitzt und sich das Angebot durch den Kopf gehen lässt, stöbert sie in Schallplatten und Kassetten, die sie im Laufe der Jahre gesammelt hat. Beatles. Bob Dylan. Paul Simon. Johnny Cash. Elvis. Sie legt eine Kassette in ihren altersschwachen Walkman. Der Mann namens Otis, der eine warme Tee-mit-Kardamom-Stimme hat, singt von der Sonne und einem Dock und von Schiffen, die davonfahren. Er singt von Einsamkeit und einem Ort namens Georgia. Sie fragt sich, ob Mahtab dort gewesen ist. Saba hat jedes Wort dieses Songs in ihrem Englischwörterbuch nachgeschlagen – so wie sie das bei allen ihren Lieblingssongs gemacht hat. Sie lauscht der Kassette einen Moment und beschließt dann, sie in einem sichereren Versteck zu verstauen, getrennt von ihren sonstigen Schätzen.
    Falls sie Abbas heiratet, wird sie das väterliche Haus auf dem Hügel verlassen – ein einsames weißes Haus am Fuße eines bewaldeten Berges mit Blick über die Strohdächer von Cheshmeh – und in das ebenso stattliche Haus ihres neuen Ehemannes in einem belebteren Ort eine kurze Autofahrt entfernt ziehen. Das Haus, so hat man ihr erzählt, liegt weniger abseits an einer kleinen Straße, wo es Nachbarn gibt und offene Innenhöfe mit Bänken, Obstbäumen und Brunnen hinter hohen Mauern, und statt der Gilaki-Häuser mit ihren offenen Fassaden gibt es überdachte Wege im Stil mancher Viertel in Teheran. Da es näher am Meer liegt, kommen manchmal Touristen durch, und die Busse fahren häufiger. Abbas’ Städtchen bietet mehr Annehmlichkeiten, Ärzte und Geschäfte und zwei

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