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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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legt eine Hand an ihre Wange. »Und hör nicht auf dieses Gerede.«
    Es klopft an der Tür, und Sabas Vater kommt herein. Er ist allein, und sie fragt sich einen kurzen Moment lang, wo Reza hingegangen ist.
    »Saba«, sagt ihr Vater, das Gesicht umschattet von matter Resignation. Sie beobachtet, wie er sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn wischt, und betet um ein rasches Kasem-freies Urteil. Er spielt mit dem Finger, an dem er seinen Ehering trug, eine Angewohnheit von früher. »Es ist Zeit, dass sich etwas ändert. Vielleicht Zeit, dass du heiratest.«
    Das ist also seine Lösung. Das Schlimmste. Sie denkt an Mahtab, die sich solchen Drohungen nicht unterwerfen muss. Mahtab, die immer tut, was sie will. »Ich werde nicht heiraten.«
    »Ich habe Agha Abbas angerufen«, sagt Agha Hafezi, ohne seine Tochter anzusehen. »Er kommt morgen zum
khastegari
. Ich denke, du solltest Ja sagen.«
    Agha Abbas? Der alte Mann?
Saba versucht, diese neue Information zu verarbeiten. Die wollen, dass sie einen alten Mann heiratet? Ist das besser oder schlechter, als ihren dämlichen Cousin zu heiraten? Irgendwie scheint es jetzt, in diesem Moment, von allergrößter Wichtigkeit, diese Frage zu beantworten. Sie muss nur sehr kurz darüber nachdenken. »Nein, kommt überhaupt nicht infrage.«
    »Lass deinen Vater ausreden«, sagt Khanom Omidi beruhigend. »Vielleicht hat das auch sein Gutes. Abbas ist sehr reich. Du könntest glücklich werden.«
    »Ich find’s unglaublich, dass ihr denkt, ich mache da mit«, sagt Saba.
    »Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, entgegnet ihr Vater fast widerwillig. »Deine Mutter würde wollen, dass ich dir die Wahl lasse. Du kannst nach Rasht auf die Universität gehen. Aber das sind deine beiden einzigen Optionen, Saba. Heiraten oder studieren. Das hier muss aufhören …«
    »In Rasht?«, stammelt sie. Nicht Harvard. Nicht mal irgendein kleineres amerikanisches College. Nicht mal die Teheraner Universität – und das, nachdem sie Zigtausend Stunden lang Englisch gelernt, jedes erhältliche Buch gelesen, multivariate Rechenverfahren und Chemie und Physik gepaukt hat. Sie ist noch keine zwanzig. Sollte sie nicht auf etwas Besseres warten? In Amerika kann man in jedem Alter ein Studium beginnen.
    »Oder Teheran«, sagt ihr Vater. Er zögert. »Deine Mutter hätte gewollt, dass du wenigstens in Teheran studierst. Aber mir wäre es lieber, wenn du hierbleibst.« Er klingt schwach, elend. »Ich weiß, das ist egoistisch. Aber du bist alles, was von uns geblieben ist. Von mir.« Er greift nach ihrer Hand. Plötzlich kommt er ihr alt vor. Seine Hände sind kalt, die Haut ist schlaff und geädert.
    Ihr Vater erwähnt nur selten, was sie alles verloren haben. Er hat nie den Eindruck erweckt, sie zu brauchen. Wie oft hat sie sich gewünscht, das aus seinem Mund zu hören – dass er Angst hat, sie zu verlieren –, obwohl sie doch weiß, dass es der Grund ist, warum er nie vom Studium spricht. Jetzt, wo er es zugegeben hat, möchte sie hier bei ihm bleiben und auf ihre Chance warten. Sie könnte eine junge Witwe sein – frei. Jetzt stellt sie sich eine andere Frage: Will sie sich für eine amerikanische Universität aufbewahren, oder will sie sich für Reza aufbewahren? Der Moment ist gekommen, wo sie nur eines von beidem tun kann. Wonach sehnt sie sich am meisten? Welcher Traum hält sie nachts wach? Welche Möglichkeit wird sie behalten? »Denkst du, ich sollte besser heiraten?«
    Agha Hafezi wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Ja, das wäre besser. Der Mann ist alt. Er ist reicher, als du ahnst. Und für eine Witwe ist das Leben sehr viel einfacher als für eine unverheiratete junge Frau. Die Leute werden nicht mehr jeden deiner Schritte beobachten. Du wirst ein großes Vermögen haben. Was, wenn man
mir
alle meine Ländereien wegnimmt und dir nichts mehr bleibt? Er ist Muslim genug.« Er wendet verlegen den Blick ab. »Ich rate dir, die einsame, lebenslange Last eines Kindes von diesem Mann zu vermeiden. Sei klug, hab Geduld, und du wirst deine Chance bekommen. Dann bist du um einige Jahre weiser, hast deine Familie in der Nähe und noch dazu dein eigenes Geld. Du kannst deinen Grundbesitz als Sicherheit angeben und nicht bloß nach Teheran, sondern ins Ausland gehen. Verheiratete Frauen kommen nämlich leichter an ein Visum.«
    »Ich dachte, du wolltest, dass ich in deiner Nähe bleibe«, sagt sie, obwohl sie weiß, dass ihr Vater recht hat. Wer einen Gatten im Iran hat, bekommt

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