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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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den Namen so oft aus, bis er überhaupt keinen Sinn mehr hat.
    Warum kam der Brief ungelesen zurück? War ihre Mutter je dort? Ist sie jetzt dort? Und Mahtab? Bis zum nächsten Tag liest Saba den Brief zigmal, prägt sich jedes Wort ihres Vaters ein, jede zittrige Zeile, jeden noch so kleinen Hinweis auf seinen gewaltigen Kummer. Nachdem sie die ganze Nacht aufgeblieben ist und mit ihm und Khanom Omidi geredet hat, ihre Möglichkeiten durchgegangen ist und zweimal ihre Meinung geändert, abgewogen, überlegt und geplant hat, willigt sie schließlich ein.
    »Okay«, sagt sie, »okay, ich mach’s.« Und so kommt es dann. Saba Hafezi wird verheiratet werden. Hinterher überlässt sie sich einer seltsamen Erleichterung. Sie wird keine iranische Universität besuchen, was bedeutet hätte, sich für immer an dieses neue Land zu binden, das sie mittlerweile hasst. Sie bewahrt sich für Amerika auf, den einzigen, widerstrebenden Bewerber, auf den sie zu warten bereit ist. Sie hat die Briefe von entfernten Verwandten in Texas und Kalifornien gelesen, Geschichten von Teheraner Touristen gehört, die hier Villen am Meer mieten und allesamt bestätigen, dass ein iranisches Examen in der Welt blasser Prinzen und amerikanischer Schahzadehs keinerlei Bedeutung hat. Nur Baba Harvard kann seine Kinder davor bewahren, Taxi zu fahren oder Mülleimer zu leeren. Sie wird auf ihn warten und in der Zwischenzeit hier bei dem Baba bleiben, der sie braucht.
    Ihr Vater ruft Abbas an. Der alte Mann kommt ins Haus der Hafezis, um seine Aufwartung zu machen und seine Würde aufs Spiel zu setzen, obwohl er bereits weiß, wie die Antwort lauten wird. Ponneh und Khanom Omidi, die nicht von Sabas Seite weichen, haben einen großen
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gedeckt. Da die Entscheidung so rasch getroffen wurde, ist die Verlobung eine einsame Angelegenheit, bei der Ponneh und Khanom Omidi in der Küche hantieren und lediglich Agha Hafezi, Kasem und dessen Mutter – und natürlich Mullah Ali – als Zeugen zugegen sind. Abbas selbst bringt keine Verwandten mit. In einem rührenden Versuch, sein Alter zu kaschieren, sagt er, dass seine Mutter gekommen wäre, aber leider unter Husten leidet. Agha Hafezi lächelt, wohl wissend, dass die Mutter fünfundneunzig und bettlägerig ist. Saba nimmt die Vorgänge um sie herum kaum wahr. Ist ihre eigene Mutter tot? Im Gefängnis? Nach Amerika geflohen? Falls sie ins Evin gebracht wurde, kann sie dann mit Mahtab in dieses Flugzeug gestiegen sein? Vielleicht einige Wochen später, aber nicht an dem Tag, den Saba in Erinnerung hat – den Tag mit dem grünen Kopftuch und dem braunen Hut.
    Die Zeremonie beginnt ohne Saba, die zitternd in ihrem Bett liegt, bis sie gerufen wird. Doch schließlich bleibt sie bei ihrem Entschluss. Sie weiß jetzt, da sie den Brief ihres Vaters gelesen hat, dass die nüchterne Unterscheidung zwischen Liebe und Ehe keine große Tragödie, kein Weltuntergang ist, sondern bloß eine Banalität, die nahtlos Eingang ins alltägliche Leben findet. Eine Ehe ist etwas völlig anderes als der unaufhörliche Kummer, in Rezas Nähe zu sein. Also wird sie schlau und gerissen sein wie Mahtab. Sie wird eine Entscheidung treffen, die ihr gewisse Freiheiten eröffnet und die Möglichkeit gewährt, in der Nähe ihres Vaters und ihrer geliebten Dorfmütter zu bleiben. Sie erinnert sich an die Worte, die ihr Vater ihrer Mutter geschrieben hat:
In dieser neuen Welt sind Ehe und Liebe nicht mehr miteinander verbunden.
    Endlich kommt Khanom Omidi, um sie ihrer Zukunft entgegenzuführen.
    Sie sitzt in einer Ecke des Zimmers und verfolgt aufmerksam, wie ihr Vater und Agha Abbas die Heiratsbedingungen aushandeln. Abbas bietet Teppiche, Gold, Schmuck und ein kleines Barvermögen für den Fall einer Scheidung. Ihr Vater bietet ein Zehntel der Summe als Mitgift und fordert, dass Saba Abbas’ letzte Frau wird, dass er, solange sie lebt, keine anderen Frauen nimmt, gleichgültig ob vor dem Gesetz oder de facto. Abbas neigt den Kopf. Er durchschaut, was da von ihm verlangt wird. Er hat keine Kinder, keine noch lebenden Frauen oder Erben. Agha Hafezi will, dass Saba nach Abbas’ Tod eine reiche Frau ist, deren Witwenschaft durch keine anderen Erbberechtigten verkompliziert wird. Außerdem besteht er darauf, dass Eigentum und Geld auf Sabas eigenen Namen überschrieben werden. Er setzt einen Ehevertrag auf, bei dem jedes Schlup f loch so dicht ist wie bei seinen sonstigen Geschäftsabschlüssen.
    Agha Abbas hebt die Hände, Innenflächen

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