Ein Todsicherer Job
Fresh war froh, dass im Moment niemand im Laden war, der seinen Gesichtsausdruck sehen konnte, denn er war überzeugt davon, dass das volle Ausmaß der kalten Schauer, die ihm am Rücken rauf und runter liefen, seine Aura unerschütterlicher Gelassenheit ruinierte. »Dieses Kind hat einen Sprachfehler, Charlie. Das sollte sich mal jemand näher ansehen.«
»Einen Sprachfehler! Einen Sprachfehler! Liebenswertes Lispeln ist ein Sprachfehler. Meine Tochter tötet Menschen mit dem Wort ›Mietzi‹. Auf dem ganzen Weg nach Hause musste ich ihr den Mund zuhalten. Wahrscheinlich sieht man es irgendwo auf einem Video. Die Leute haben mich angestarrt, als hätte ich mein Kind in aller Öffentlichkeit geohrfeigt.«
»Seien Sie nicht albern, Charlie. Die Menschen mögen Eltern, die ihre Kinder in aller Öffentlichkeit ohrfeigen. Unbeliebt sind Leute, die zulassen, dass sich ihre Kinder wie Rabauken benehmen.«
»Könnten wir bitte beim Thema bleiben? Was wissen Sie darüber? Was haben Sie in all den Jahren als Totenbote rausgefunden?«
Minty Fresh setzte sich auf den Hocker hinterm Tresen und starrte der Pappfigur von Cher in die Augen, in der Hoffnung, dort Antworten zu finden. Die blöde Kuh schwieg sich aus. »Charlie, ich habe keine Ahnung. Die Kleine war mit im Krankenzimmer, als Sie mich erwischt haben, und Sie wissen ja selbst, welche Auswirkungen es auf Sie hatte. Wer weiß, wie es sich auf das Kind auswirkt. Ich habe Ihnen doch gesagt, ich glaube, Sie spielen in einer anderen Liga als wir anderen. Vielleicht ist die Kleine ja auch was Besonderes. Ich habe noch nie von einem Totenboten gehört, der jemanden zu Tode mietzen oder sonst wie seinem Ableben auf die Sprünge helfen konnte. Haben Sie es mit anderen Worten versucht? Wau-wau vielleicht?«
»Ja, das hatte ich vor, aber ich dachte, es könnte die Immobilienpreise drücken, wenn in meiner Nachbarschaft plötzlich alle tot umfallen! Nein, ich habe keine anderen Wörter ausprobiert. Ich trau mich nicht mal, ihr Brechbohnen vorzusetzen, weil ich Angst habe, dass sie mich mietzt.«
»Ich bin mir sicher, dass Sie eine gewisse Immunität genießen.«
»Im Großen Buch steht, dass wir selbst keineswegs immun gegen den Tod sind. Ich würde sagen, wenn im Discovery Channel das nächste Mal ein Kätzchen auftaucht, kann meine Schwester schon mal meinen Sarg aussuchen.«
»Tut mir leid, Charlie. Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Ich werde mal in meiner Bibliothek zu Hause nachsehen, aber es klingt, als wäre die Kleine den Darstellungen des Schnitters um einiges ähnlicher als Sie und ich. Aber alles hat zwei Seiten, vielleicht bewirkt ihre – äh – Störung auch etwas Positives.
Fahren Sie rüber nach Berkeley und sehen Sie nach, ob Sie in der Bibliothek was finden. Es ist ein Riesenarchiv – jedes Buch, das gedruckt wird, landet dort.«
»Haben Sie es da noch nicht versucht?«
»Doch, aber ich habe nicht so gezielt gesucht. Hören Sie, seien Sie nur vorsichtig, wenn Sie rüberfahren. Nehmen Sie nicht die U-Bahn.«
»Glauben Sie, die Gullyhexen sitzen im U-Bahn-Tunnel?«, fragte Charlie.
»Gullyhexen? Wer ist das?«
»So nenne ich sie«, sagte Charlie. »Also, so würde ich sie nennen, wenn ich darüber sprechen dürfte.«
»Oh. Ich weiß nicht, er liegt unter der Erde, und ich hab mal in einem Zug gesessen, als der Strom ausfiel. Sie sollten es lieber nicht riskieren. Das ist deren Revier. Apropos: Es kommt mir vor, als wären sie seit einem halben Jahr verdächtig still. Funkstille.«
»Ging mir genauso«, sagte Charlie. »Aber ich schätze, das könnte sich durch diesen Anruf ändern, oder?«
»Gut möglich. Wenn ich den Zustand Ihrer Tochter bedenke, könnte es allerdings auch sein, dass die Karten neu gemischt sind. Passen Sie auf sich auf, Charlie Asher.«
»Sie auch, Minty.«
»Mr. Fresh. «
»Ich meinte: Mr. Fresh. «
»Leben Sie wohl, Charlie. «
In seiner Kabine auf dem großen Schiff stocherte Orcus mit dem gesplitterten Oberschenkelknochen eines Kindes zwischen seinen Zähnen herum. Babd kämmte seine schwarze Mähne mit ihren Klauen, während der stierköpfige Tod darüber nachdachte, was die Morrigan von den Gullys an der Columbus Avenue aus gesehen hatten: Charlie und Sophie im Park.
»Ist es an der Zeit?«, fragte Nemain. »Haben wir lange genug gewartet?« Sie klackte mit den Klauen wie mit Kastagnetten und verspritzte Gift über Wände und Boden.
»Wenn du vielleicht etwas vorsichtiger sein könntest«, sagte Macha.
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