Ein Todsicherer Job
»Das Zeug macht Flecken. Ich habe gerade einen neuen Teppich verlegt.«
Nemain streckte ihr die schwarze Zunge heraus. »Waschweib«, sagte sie.
»Hure«, erwiderte Macha.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Orcus. »Dieses Kind stört mich.«
»Nemain hat Recht. Sieh dir an, wie stark wir schon geworden sind«, sagte Babd und strich über das Netz, das zwischen den Stacheln an Orcus’ Schultern wuchs – es sah aus, als trüge er dort Fächer wie die verzierte Rüstung eines Samurai. »Lass uns hingehen. Vielleicht bekommst du durch das Opfer des Kindes deine Flügel zurück.«
»Meinst du, ihr könnt?«
»Wir können, sobald es dunkel wird«, sagte Macha. »Wir sind so stark, wie wir es seit tausend Jahren nicht mehr waren.«
»Nur eine von euch sollte gehen, und zwar im Verborgenen«, sagte Orcus. »Ihre Gabe ist sehr alt, selbst im neuen Leib. Wenn sie ihrer Gabe Herr wird, können wir unsere Hoffnungen für die nächsten tausend Jahre vielleicht begraben. Töte das Kind und bring mir seinen Leichnam. Pass auf, dass es dich nicht sieht, bevor du zuschlägst.«
»Und der Vater? Soll ich ihn auch töten?«
»So stark bist du nicht. Aber wenn er merkt, dass sein Kind tot ist, wird ihn die Trauer vielleicht töten.«
»Du weißt überhaupt nicht, was du da treibst, oder?«, sagte Nemain.
»Du bleibst heute Abend hier«, sagte Orcus.
»Verflucht«, keifte Nemain und spritzte Gift über die Wand. »Oh, verzeiht, dass ich den Erhabenen in Frage stelle. Hey, Ochsenkopf. Horch, was kommt da hinten raus?«
»Ha«, sagte Babd, »ha, der war gut.«
»Und ist dein Hirn auch schön gefiedert?«, fragte Orcus. »Oh. Jetzt hat er dich, Nemain. Denk immer daran, wenn ich heute Nacht das Kind ermorde.«
» Dich habe ich gemeint«, sagte Orcus. »Macha wird gehen.«
Sie stieg durchs Dach ein, brach das Oberlicht oben im dritten Stock auf und sprang hinunter in den Flur. Leise wie ein Schatten schlich sie zur Treppe, dann schien sie abwärts zu schweben, berührte mit den Füßen kaum die Stufen. Im ersten Stock blieb sie an der Tür stehen und betrachtete die Schlösser. Es gab zwei stabile Riegel, zusätzlich zu dem eigentlichen Türschloss. Sie blickte auf und sah ein Fenster aus buntem Glas über der Tür, das mit einem winzigen Messinghaken verriegelt war. Eilig glitt eine Kralle durch den Spalt, und mit einer kurzen Drehung des Handgelenks klickte der Messingriegel auf und fiel drinnen klappernd aufs Parkett. Sie glitt aufwärts, dann durchs Türfenster, presste sich drinnen an den Boden und wartete wie eine Schattenlache.
Sie witterte das Kind, hörte leises Schnarchen vom anderen Ende der Wohnung. Mitten im großen Raum blieb sie stehen und wartete. Frischfleisch war auch da, sie spürte ihn, er schlief im Zimmer gegenüber. Sollte er sich einmischen, würde sie ihm den Kopf abreißen, um ihn Orcus mitzubringen, als Beweis dafür, dass man sie niemals unterschätzen durfte. Am liebsten hätte sie den Kopf auf alle Fälle abgerissen, aber erst, wenn sie das Kind hatte.
Ein Nachtlämpchen am Bett der Kleinen warf sein weiches, rosiges Licht bis ins Wohnzimmer. Macha winkte kurz mit ihrer Klauenhand, und das Licht erlosch. Leise schnurrte sie vor Selbstzufriedenheit. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie ein Menschenleben auf diese Weise auslöschen konnte, und vielleicht würden diese Zeiten einmal wiederkehren.
Sie schob sich ins Zimmer der Kleinen und hielt inne. Im Mondlicht, das durchs Fenster fiel, sah sie das Kind eingerollt in seinem Bettchen liegen, mit einem Plüschhasen im Arm. Nur in den Zimmerecken konnte sie nichts erkennen, weil der Schatten dort so leer und dunkel war, dass sie ihn selbst mit ihren Augen einer Kreatur der Nacht nicht durchdringen konnte. Sie trat ans Kinderbett und beugte sich darüber. Das Kind schlief mit offenem Mund. Macha beschloss, ihm eine einzelne Kralle durch den Gaumen ins Gehirn zu treiben. Das wäre lautlos, der Vater würde reichlich Blut vorfinden, und so konnte sie die Leiche transportieren, am Haken wie ein Fisch auf dem Weg zum Markt. Langsam beugte sie sich vor und lehnte sich übers Bettchen, um die größtmögliche Hebelkraft zu erreichen. Mondlicht glitzerte auf der sieben Zentimeter langen Kralle, und sie wich zurück, einen Augenblick lang abgelenkt vom hübschen Schimmer, als sich die Zähne um ihren Arm schlossen.
»Verflu...«, kreischte sie, als sie herumgerissen und an die Wand geschlagen wurde. Die nächsten Zähne packten sie beim Knöchel.
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