Ein Todsicherer Job
und putzte sich danach die Zähne mit Bürste und Seide. Sie legte ihren liebsten Silberschmuck an und trug ihn beim Abendessen, und als sie ihre türkisfarbene Navaho-Halskette nicht finden konnte, zuckte sie nur mit den Schultern, als sei nichts dabei – wahrscheinlich hatte sie sie verlegt. Ach, ja.
Charlie wusste, was vor sich ging, denn er hatte so etwas schon oft gesehen, und Buddy und Jane wussten auch Bescheid, weil Grace, die Hospizschwester, es ihnen erklärt hatte. »So etwas kommt immer wieder vor. Ich habe schon erlebt, dass Leute aus dem Koma erwachen und ihr Lieblingslied singen. Ich kann Ihnen nur raten, es zu genießen. Man sieht, wie das Licht in Augen leuchtet, die monatelang trübe waren, und man schöpft neue Hoffnung. Aber es ist kein Zeichen der Besserung, es ist eine Gelegenheit, Abschied zu nehmen. Ein Geschenk.«
Außerdem hatte Charlie beobachtet, dass es tatsächlich allen Beteiligten half, leicht medikamentiert zu sein, weshalb er mit Jane ein paar von den Beruhigungspillen nahm, die Janes Therapeutin ihr verschrieben hatte, und Buddy eine Morphiumpille mit etwas Scotch hinunterspülte. Medikamente und Versöhnlichkeit können einem freudige Momente mit Sterbenden bescheren, denn es ist, als kehrten sie in ihre Kindheit zurück, und da nichts Zukünftiges Bedeutung hat, weil man sie nicht auf das Leben vorbereiten, ihnen Lektionen erteilen oder brauchbare Erinnerungen schmieden muss, kann man die Freude jener letzten Augenblicke ungetrübt in seinem Herzen bewahren. Nie hatte sich Charlie seiner Mutter und seiner Schwester näher gefühlt, und auch Buddy gehörte zur Familie.
Lois Asher ging um neun zu Bett und starb um Mitternacht.
»Ich kann nicht zur Beerdigung bleiben«, sagte Charlie am nächsten Morgen zu seiner Schwester.
»Was soll das heißen? Du kannst nicht zur Beerdigung bleiben?«
Charlie sah aus dem Fenster und hinüber zu dem gigantischen Eispickel von einem Schatten, der vom Berg herab bis fast zum Haus seiner Mutter gekrochen war. Charlie sah ein Flattern an den Rändern wie Vogelschwärme oder Insekten. Die Spitze war keine halbe Meile mehr entfernt.
»Ich hab zu Hause was Wichtiges zu tun, Jane. Ich meine, ich hab was vergessen und kann wirklich ehrlich nicht bleiben.«
»Tu nicht so geheimnisvoll. Was ist so dringend, dass du nicht an der Beerdigung deiner Mutter teilnehmen kannst?«
Charlie presste seine Betamännchenphantasie bis zum Anschlag aus, um sich spontan was Glaubwürdiges einfallen zu lassen. Da ging ihm ein Licht auf. »Weißt du noch, neulich Abend, als du mich losgeschickt hast, um einen wegzustecken?«
»Ja?«
»Also, es war ein echtes Abenteuer, und als sie mir die Kopfhaut wieder zusammengenäht haben, wurde auch ein Test gemacht. Ich hab vorhin mit dem Arzt gesprochen, und ich sollte mich behandeln lassen. Sofort.«
»Idiot! Ich hab dich doch nicht losgeschickt, damit du ungeschützten Sex hast. Was hast du dir dabei gedacht?«
»Aber es war Safer Sex.« Von wegen sicher , dachte er und lachte beinah über sich selbst. »Und wenn ich sofort mit diesen Medikamenten anfange, stehen die Chancen gut, dass ich durchkomme.«
»Du kriegst den Cocktail? Zur Vorbeugung, oder wie?« Genau, das ist es: der Cocktail! , dachte Charlie. Er nickte feierlich.
»Okay, dann geh.« Jane drehte sich um und schlug die Hände vors Gesicht.
»Vielleicht kann ich rechtzeitig zur Beerdigung wieder da sein«, sagte Charlie. Konnte er? Er musste in weniger als einer Woche zwei überfällige Seelenschiffchen abholen und konnte nur hoffen, dass in seinem Kalender keine neuen Namen standen.
»Wir machen es heute in einer Woche«, sagte Jane, drehte sich wieder um und blinzelte ihre Tränen weg. »Flieg du nach Hause, lass dich behandeln und komm wieder. Ich kümmere mich mit Buddy um die Vorbereitungen.«
»Tut mir leid«, sagte Charlie. Er nahm seine Schwester in die Arme.
»Stirb du mir nicht auch noch, Blödmann«, sagte Jane. »Wird schon. Ich komm sobald zurück wie möglich.«
»Bring deinen schwarzgrauen Armani-Anzug mit, damit ich zur Beerdigung was anzuziehen hab. Und Cassies schwarze Riemchenpumps, okay?«
»Du? In schwarzen Riemchenpumps ?« »Mom hätte es so gewollt«, sagte Jane.
Als Charlie in San Francisco landete, hatte er vier panische Nachrichten von Cassandra auf seinem Handy. Sie war ihm immer so ruhig, so gefasst vorgekommen – der stabile Gegenpol zu den Schwärmereien seiner Schwester. Auf der Mailbox klang sie wie ein
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