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Ein toedlicher Plan

Titel: Ein toedlicher Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Deaver
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die Augen.
    Das Nächste, was sie hörte, war das freundliche »Guten Morgen«, mit dem Wendall Clayton seine Sekretärin begrüßte. Noch halb benommen und mit einem üblen Gefühl im Magen sprang Taylor auf. Sie sah auf ihre Uhr.
    Neun Uhr dreißig und Montagmorgen.

…Vierundzwanzig
    Erst in diesem Rundbau lebte er richtig auf.
    Im trüben, widerhallenden Gerichtsgebäude.
    In den heruntergekommenen Marmorfluren, die vom Sonnenlicht beleuchtet wurden, das durch die schmutzigen Fenster dringen konnte.
    In den Gerichtssälen wie dem, in dem er gerade saß.
    Mitchell Reece sah sich in dem Raum um, in dem in dreißig Minuten die Eröffnungssalven im Verfahren Banque Industrielle de Genève gegen Hanover & Stiver, Inc., abgefeuert werden würden. Er betrachtete die gewölbte Decke, den Richtersitz, der Strenge ausstrahlte (hoch und erhaben wie ein Kommandoturm), und die Geschworenenbank, die verstaubte Fahne und die Porträts von ernst dreinblickenden Richtern aus dem 19. Jahrhundert. Im Moment war die Beleuchtung noch nicht eingeschaltet. Er roch den mit Zitrone angereicherten Ammoniakgestank der Reinigungsmittel und die trockene Hitze von den Heizkörpern. Die Atmosphäre in diesem Raum erinnerte ihn an die in alten U-Bahn-Waggons. Schließlich war die Justiz auch nicht mehr als ein weiteres öffentliches Dienstleistungsunternehmen wie der öffentliche Personennahverkehr oder die Müllabfuhr.
    Er saß jetzt schon einige Minuten da und fühlte sich immer noch ruhelos. Plötzlich stand er auf und lief zu einem Fenster. Durch die verschmierte Scheibe beobachtete er, wie dicke Schneeflocken auf die Männer und Frauen fielen, die über die Centre Street liefen – Anwälte, Richter und Mandanten, die zu ihrem Gerichtstermin eilten. Die Menschen dort draußen ließen sich leicht unterscheiden. Die Anwälte trugen dicke Ledertaschen, die Mandanten schmalere Aktenkoffer, und die Richter hatten die Hände frei. Einige der Anwälte kamen ihm recht jung vor.
    Bei seinen ersten Fällen war Reece so lange wie möglich, oft bis zum allerletzten Moment, in der Kanzlei geblieben. Er hatte vor den Computern gesessen und sich die neuesten Urteile angesehen, um darunter eines zu finden, das er dem Richter mit einer dramatischen Geste nennen konnte. Diese Praxis hatte sich jedoch nur höchst selten ausgezahlt, und Reece war schon bald zu der Erkenntnis gelangt, dass die Rechtspflege zwar Leidenschaft verlangte, aber keine Besessenheit, und er von daher diese schon manische Suche ablegen sollte. Als Anwalt einen Prozess zu führen erforderte auch Technologie, doch die allein garantierte noch keinen Sieg. Das wurde ihm bereits früh bewusst, damals, als er einen Jungen vertrat, der ein Auge verloren hatte. Ein Stein war aus dem Rasenmäher geflogen und hatte ihn im Gesicht getroffen. Sein Vater hatte den Auffangsack für das Gras abmontiert und ihn trotz der ins Metall gestanzten Warnung, den Rasenmäher nie ohne den Auffangsack in Betrieb zu nehmen, nicht wieder angebracht. Reece verklagte den Hersteller und begründete das vor Gericht mit der Erklärung, trotz der Warnung sei das Gerät mangelhaft.
    Alle waren der Ansicht gewesen, dass Reece damit nie durchkommen würde. Schließlich habe die Herstellerfirma klare Anweisungen für den Gebrauch des Geräts gegeben, und der Vater habe fahrlässig, wenn nicht gar töricht gehandelt. Der gelangweilte Richter hatte das gewusst und der Anwalt der Gegenseite ebenfalls. Und auch Reece. Aber im Gerichtssaal waren sechs Menschen, denen das nicht so klar gewesen war: die Geschworenen. Und die hatten dem heulenden, jämmerlich dasitzenden Jungen ein Schmerzensgeld von eins Komma sieben Millionen Dollar zugesprochen.
    Alles nur Theater.
    Das war der Schlüssel zur erfolgreichen Prozessführung: keine Logik, ein wenig Gesetzeskenntnis, viel Persönlichkeit und noch mehr Theater.
    Die Hoffnung, die letzte Nacht in ihm aufgekeimt war, war längst verflogen und hatte einer Vorform der Panik Platz gemacht, als Taylor nicht aus der Kanzlei zurückgekehrt war und sich nicht einmal telefonisch gemeldet hatte. Mitchell hatte etliche Male in ihrer Wohnung angerufen, aber dort nur den Anrufbeantworter gehört. In seiner Not wählte er schließlich sogar die Nummer von Wendall Claytons Büro, um herauszufinden, ob er womöglich noch dort war. Aber niemand hob ab, und Mitchell zwang sich, nicht weiter über seine größte Befürchtung nachzudenken, nämlich dass Clayton Taylor beim Einbruch erwischt hatte.

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