Ein toedlicher Plan
Gegen vier Uhr war er schließlich eingeschlafen und um sieben wieder aufgestanden. Er fuhr mit der U-Bahn in die Kanzlei und traf sich dort mit seinen Zeugen. Mit der Ausrede, Burdick kurz sprechen zu müssen, lief er hinauf in den siebzehnten Stock und ging dort langsam an Claytons Büro vorbei. Die Tür stand auf, aber der Raum war dunkel. Und von Taylor war nirgendwo etwas zu sehen.
Schließlich ließ er alle Hoffnung fahren. Er rief die Repräsentanten der Banque Genève zusammen, fuhr mit ihnen in einer der Kanzlei gehörenden Limousine zum Gericht, ließ sie in der Kuppelhalle des New York State Supreme Court zurück und machte sich allein auf den Weg in den Gerichtssaal.
Und jetzt, hier aus dem Fenster schauend, musste er sich eingestehen, dass die ganze Angelegenheit ihm vollkommen entglitten war. Doch er hatte sich bestens auf den Fall vorbereitet, und wenn der Wechsel nicht auftauchen sollte, wollte er immer noch wie ein Löwe kämpfen. Er würde Lloyd Hanover und seine Männer in der Luft zerreißen, seinen eigenen Mandanten im strahlendsten Licht dastehen lassen und das besondere Augenmerk auf den Umstand richten, wie überaus großzügig sich die Banque Genève verhalten habe, als sie Hanover & Stiver in einer Periode größter ökonomischer Schwierigkeiten den Kredit gewährt hatte. Er würde des Weiteren darauf hinweisen, was der Verlust von fünfundzwanzig Millionen Dollar für eine kleine europäische Bank bedeutete, die mutig genug gewesen war, in eine amerikanische Firma zu investieren, und damit nicht nur viele Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch Geld in den seit Jahren von der Rezession geschüttelten Nordosten des Landes gesteckt hatte …
Er würde kämpfen wie nie zuvor – und trotzdem verlieren.
Reece hatte seit gut dreißig Jahren nicht mehr gebetet, aber heute sandte er in Gedanken eine kurze Botschaft an ein nicht näher spezifiziertes höheres Wesen, das er sich so ähnlich wie die blinde Justitia vorstellte. Er flehte darum, dass Taylor Lockwood nichts geschehen sei, sie sich in Sicherheit befinde und den Wechsel aufgetrieben habe.
Du hast so viel für mich getan, Taylor. Jetzt streng dich bitte noch ein wenig mehr an. Tu es für uns beide …
Reece setzte sich wieder hin. Die Stühle hier waren weniger bequem als im Bundesgericht, aber er hielt sie in diesem Fall für durchaus passend – hart, verschrammt und aus Eiche. Er brauchte vor dem Beginn eines Verfahrens ein leichtes Unbehagen. Am liebsten ein Hungergefühl oder ein Frösteln, weil ihm zu kalt war. Später, wenn alles vorüber war, konnte er es sich wieder gut gehen lassen. Er schloss die Augen und verlor sich in einer stummen Meditation.
Sie stand an einem Fenster, durch das man auf einen verrußten Luftschacht blickte. Dahinter lag der New Yorker Hafen, der aber jetzt durch den Vorhang langsam fallender Schneeflocken kaum zu erkennen war. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte hinaus, doch ihre Augen sahen nicht die drei Meter entfernte Mauer oder die schmutzige Ebene des Hafens, sondern die Scherben ihres Scheiterns.
Taylor streckte eine Hand aus und berührte die Scheibe. Ihre rosa lackierten Nägel klopften einen Takt auf das Glas.
Taylor hatte schon vor vielen Menschen ihre Stücke und Interpretationen gespielt, und sie hatte auch etliche Anwälte mit der Arbeit beeindruckt, die zu leisten sie imstande war. Auf beiden Gebieten durfte sie durchaus mit sich zufrieden sein. Sie war eine gute Musikerin und eine fähige Anwaltsgehilfin. Aber jetzt hatte sie alles zerstört. Für wen, Himmel noch mal, hielt sie sich eigentlich? Sie war weder Polizistin noch Privatdetektivin, sie konnte sich weder mit John Silbert Hemming vergleichen noch mit einem Anwalt, der Leute verhört, die beim Griff in die Ladenkasse erwischt worden sind. Nein, in diesem Metier war sie wirklich eine komplette Niete. Daran gab es nichts zu rütteln oder zu deuteln. Sie war im Einsatz eingeschlafen und hatte damit alles vermasselt.
Ach, Mitchell, du hättest dir wirklich eine andere nehmen sollen.
Sie befand sich immer noch in der Abstellkammer und wartete. Lange tat sich nichts. Dann waren Schritte zu vernehmen. Verließ Clayton sein Büro? Nein, Sean Lillick betrat den Raum.
Sie hörte, wie die beiden sich unterhielten. Andere Anwälte kamen ins Haus. Claytons Sekretärin saß an ihrem Schreibtisch und nahm Anrufe entgegen. Taylor bemerkte, wie sie das »Er« besonders betonte, wenn sie von ihrem Chef sprach.
Noch
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