Ein toedlicher Plan
irgendwo gelesen –, die eine Cocktailparty verlassen musste, um vor Gericht gegen eine einstweilige Verfügung Einspruch einzulegen. Ihr blieb natürlich nicht mehr die Zeit, sich umzuziehen, und so stand sie im tief ausgeschnittenen Abendkleid vor dem Richter. Besagte Anwältin begann ihren Antrag mit den Worten: »Ich möchte dem Hohen Gericht Folgendes offen legen …« Der Richter beugte sich vor, sah in ihr tiefes Dekolleté und erklärte: »Aber Sie haben uns doch schon etwas offen gelegt, sehr viel sogar. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Etwas weniger Offenherziges wäre in Zukunft wohl angebrachter.«
In der Upper Fifth Avenue kommen solche Anekdoten immer gut an, in anderen Umgebungen können sie riskant sein. Dudleys Tischnachbarin reagiert darauf jedoch mit eisigem Schweigen und wechselt den ganzen Abend über kein Wort mehr mit ihm. Erst später erfährt er, dass der Frau vor kurzem eine Brust amputiert wurde (dabei hat er die Anwältin, nachdem er die Krampfadern der Frau des Managers gesehen hat, schon statt im Supermini mit tiefem Ausschnitt auftreten lassen).
Der dumme Vorfall ärgert ihn, bis er Amanda Wilcox entdeckt, die ihn ansieht. Er bittet, den Tisch verlassen zu dürfen, begibt sich mit zwei Gläsern Château d’Yqem zu Amanda und lädt sie ein, ihm in die Bibliothek des riesigen Apartments zu folgen. Es stellt sich heraus, dass auch sie, allerdings vergeblich, versucht hat, diesen Klienten zu ködern. Die beiden schließen für diesen Abend einen Waffenstillstand und verbringen die nächsten zwei Stunden damit, über ihre Eheerfahrungen, ihre Reisen und das Leben in ihren Kanzleien zu reden. Sie sitzen vor dem Gasofen, bis Dudley einen Blick auf die Uhr wirft und feststellt, dass es bereits eins ist und die meisten Gäste die Party schon verlassen haben.
Am nächsten Morgen sitzt Dudley pünktlich um neun Uhr wieder an seinem Schreibtisch und fängt gleich an, weiter an dem Adoptionsantrag zu arbeiten.
Sean Lillick befindet sich in einem eigenartigen Zustand, den man als Flaute bezeichnen könnte. Er scheint zwischen Träumen und Wachen zu schweben. An einem Abend schleicht er sich in Claytons Büro und sitzt stundenlang an seinem Schreibtisch. Kein Licht brennt, die Fenster sind geöffnet, und der graue Dämmerschein, die Widerspiegelung des schmutzig dunklen Himmels, dringt nur zögernd ein.
Claytons Tod ist für ihn, wie für so viele andere in der Kanzlei auch, eine Erleichterung gewesen. Doch über die Freude legt sich bald das Gefühl einer nahenden Katastrophe. Darauf ist er nicht vorbereitet, so etwas hat er noch nie verspürt. Er hat keine Ahnung, wie sich dieses Desaster zeigen wird und welche Konsequenzen für ihn daraus erwachsen, er weiß einzig und allein, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bevor diese Tragödie über ihn kommt.
Während er noch auf Claytons Thron sitzt, zückt er plötzlich seinen Stift und schreibt ein paar Zeilen nieder, die ihm gerade in den Sinn gekommen sind:
Für die, die zurückbleiben,
Bringt der Fortgang einer Seele
Eine Veränderung der gesamten Landschaft.
Er sagt sich, dass dies das Kernstück einer Oper sein wird, die er schreiben will, eine Oper im Stil von Philip Glass. Das Thema: die Trauer um Wendall Clayton. Vielleicht ist dieses Werk das letzte, das er verfassen wird, bevor … bevor die Katastrophe über ihn hereinbricht. Aber er nimmt sich fest vor, nichts unversucht zu lassen, die Oper zu vollenden. Er kann an nichts anderes mehr denken, und all die Dinge und Personen, die ihn bis zu diesem Moment noch beschäftigt haben, sind aus seinem Kopf wie fortgeblasen: seine Performances, sein Job, Taylor Lockwood und Carrie Mason, mit der er sich in der letzten Zeit regelmäßig getroffen hat. Er steht unter dem Zwang, sein Werk zu schreiben, und dafür bleibt ihm nicht mehr viel Zeit.
Er komponiert den ersten Akt hier an Claytons Schreibtisch und verspürt eine große Befriedigung, während der Stift sich in das Papier drückt und er Blatt für Blatt mit improvisierten Noten füllt. Ihn beschleicht das Gefühl, einer Art Wahnsinn anheim zu fallen, aber er macht immer weiter. In dem Raum ist es ziemlich kalt geworden, doch er stellt die Heizung nicht an. Es wird immer dunkler, doch er schaltet die Schreibtischlampe nicht ein. Er ist ganz versunken in seine Musik, und die Noten purzeln aufs Papier. Erst als er aufgrund der Dunkelheit nicht mehr erkennen kann, was er da komponiert, hört er auf. Oben auf die erste Seite
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