Ein toedlicher Plan
Warum kann er das einfach nicht verstehen? »Doch, ich bin so dumm.«
Daraufhin schwiegen sie eine Zeit lang. Eine Gruppe Studenten stürmte johlend und grölend herein. Taylor warf ihnen einen finsteren Blick zu. Der Lärm bereitete ihr im Moment geradezu körperliche Schmerzen.
»Herrgott, Taylor, der Mann hat versucht, uns zu ermorden!«
Sie sah ihn an, wandte aber gleich wieder den Blick von ihm ab. Wie mochte Clayton sich wohl gefühlt haben, als er die Pistole an seine Schläfe setzte? Hatte die Waffe schwer in seiner Hand gelegen? Hatte er Schmerzen verspürt? Wie lange hatte er noch gelebt, nachdem er abgedrückt hatte? Was hatte er in seinen letzten Sekunden gesehen und empfunden? Ein aufblitzendes gelbes Licht, ein Moment der Verwirrung, explosionsartig durcheinander wirbelnde Gedanken und dann nichts mehr? So stellte sich Taylor seinen Tod vor.
»Taylor«, begann Reece in beschwörendem Ton, »Clayton war wahnsinnig. Kein Mann, der bei Verstand ist, wäre auf die Idee gekommen, den Wechsel zu stehlen. Und niemand, der seine fünf Sinne noch beisammenhat, würde sich nach seiner Entlarvung als Dieb das Leben nehmen. Wie hätten wir auch nur ahnen können, dass Clayton zu solchen Extremen neigte? Oder dass er uns von der Straße abgedrängt hat und in meinem Büro Wanzen anbringen ließ?«
Sie legte eine Hand auf seinen Arm und drückte ihn. »Aber das ist doch gerade der Punkt, Mitchell.
Du
denkst, das Problem bestehe darin, dass Wendall uns ausgetrickst hat, dass wir für ihn nicht clever genug waren.
Ich
aber meine, wir hätten gar nicht erst in die Geschichte verwickelt werden dürfen.«
Auf dem Fernsehgerät über der Theke war ein Skiakrobat zu sehen, der von einer Rampe sprang und in der Luft einen Überschlag vollführte. Reece starrte auf die Szene. »Nein, Taylor, ich bin nicht so kalt, wie du vielleicht glaubst«, flüsterte er melancholisch und drehte sich dann wieder zu ihr um. »Mir ist durchaus bewusst, was geschehen ist. Und irgendwie sind wir beide auch für den Tod des Mannes verantwortlich. Aber wenn ich nicht einen Teil der Schuld Clayton vor die Füße legen könnte, wäre mein ganzes Selbstverständnis als Anwalt unterminiert.« Er schlug sich zur Bekräftigung seiner Worte mit seiner Rechten an die Brust. »Nicht nur mein Selbstverständnis als Anwalt, sondern mein ganzes Ich. Und wenn ich ehrlich bin, ich werde mit dieser Geschichte bis ans Ende meiner Tage leben müssen.«
Taylor glaubte jetzt einen ganz neuen Mitchell Reece vor sich zu haben. Er war nicht mehr die mächtige Persönlichkeit, die alles unter Kontrolle hatte und gegen Schmerzen aller Art immun war. Sie sah in seinen Augen das gleiche Bedauern, das auch sie verspürte, obwohl er, vielleicht um ihretwillen, vielleicht aber auch, um sich selbst zu schützen, cool tat und darum rang, die steinerne Fassade aufrechtzuerhalten.
Eine Fassade, die sie heute – zum ersten Mal – durchlöchert hatte.
Sie lehnte ihren Kopf an seinen Arm. Seine Finger fuhren durch ihr Haar. »Es tut mir Leid, Mitchell. Das alles ist so fremd für mich … und gehört ganz gewiss nicht zu den Dingen, auf die all die emanzipierten Zeitschriften eine Frau im Arbeitsleben vorbereiten.«
Er massierte ihre Schultern.
»Darf ich dich um einen Gefallen bitten?«, fragte sie.
»Natürlich.«
»Können wir abreisen?«
Er machte ein überraschtes Gesicht. »Du willst den Urlaub abbrechen?«
»Ich hatte hier eine wundervolle Zeit, wirklich. Aber ich fühle mich beschissen. Und ich fürchte, ich werde immer unausstehlicher, je länger wir bleiben. Ich wäre nur eine Plage für dich.«
»Aber ich habe doch noch gar nicht gelernt, wie man Ski fährt.«
»Machst du Witze? Du hast meinen Kurs ›Wie verletze ich mich möglichst rasch beim Skifahren‹ mit Auszeichnung bestanden. Du darfst nun hinaus in die Winterwelt ziehen und dir ganz allein Arme und Beine brechen. Bei der Ausbildung sind deinen Verletzungsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt.«
»Dann will ich mich mal um den Flieger kümmern.«
Sie küsste ihn. »Es war wirklich schön hier. Und es tut mir unendlich Leid, wenn ich so, ich weiß nicht, so komisch bin.«
»Ich möchte dich gar nicht anders haben.«
…Siebenundzwanzig
Genau eine Woche nach Claytons Tod stand Taylor Lookwood vor dem Metropolitan Museum of Art in der Fifth Avenue und betrachtete das braune Apartmenthaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie überprüfte die Adresse noch einmal und kam zu dem
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