Ein toedlicher Plan
warum er so empfindet. Er hat über sich nachgedacht und kann mit Fug und Recht von sich behaupten, eine Kämpfernatur zu sein. Ein Turbo-Kämpfer. Typ A. Er hasst es, zu verlieren. Er gerät in Rage, wenn seine alte Unimannschaft in einem Spiel unterliegt. Er hat schon vor Wut einen Bleistift zerbrochen, wenn einer seiner Klienten törichterweise bei einem Verhandlungspunkt klein beigegeben hat. Und heute fühlt er sich so zufrieden wie schon seit Jahren nicht mehr. Dass Hubbard, White & Willis ihn nicht als Partner aufgenommen hat, dies hat ihn einiges über die Arten von Rennen gelehrt, und er glaubt (allerdings ohne sich das damit auch schon einzugestehen), vielleicht einen Fehler begangen zu haben. In einem Rennen, bei dem die Quoten schon vorher festgelegt sind, hat es für ihn gar keinen Sinn, an der Konkurrenz teilzunehmen.
Aber der Gerechtigkeit wurde Genüge getan. Der Mann, der für die Manipulationen bei diesem Rennen verantwortlich war, ist tot. Als die Hausmitteilung über Claytons Beerdigung (an der er nicht teilgenommen hat) ihn erreichte, hat er sie zerknüllt und fortgeworfen – und sich dabei nach Kräften bemüht, sein Lächeln zu unterdrücken.
Es gibt jetzt nur noch einen Menschen, der ihn daran hindert, vollkommen mit sich im Reinen zu sein: Taylor Lockwood. Sie bereitet ihm erhebliche Sorgen. Taylor weiß alles über sein Geschäft mit Bosk. Und schlimmer noch, sie hat ihn in einem sehr schwachen Moment erlebt. So etwas kann Sebastian nicht ertragen. Natürlich hat er für sie längst einen Plan geschmiedet, und der ist so ausgeklügelt wie die Aktiva-Liste bei einer aggressiven Firmenübernahme. Er hat recht konkrete Vorstellungen, was er mit ihr anstellen wird, und er kennt sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er dieses Vorhaben über kurz oder lang auch durchführen wird. Doch bis jetzt hat ihn immer wieder der Mut verlassen. Er kommt sich vor wie auf dem Zehnmeterbrett im Piping Rock, wo er am Rand steht und weiß, dass er springen wird, nur hat sein Wille ihm noch nicht den entscheidenden Impuls gegeben, tatsächlich den letzten Schritt zu tun.
Er betrachtet seinen sehr teuren und sehr alten Globus und denkt an die Länder, mit denen die USA kein Auslieferungsabkommen abgeschlossen haben, wo er also vor dem Zugriff der amerikanischen Polizei und des FBI sicher ist. Er lauscht dem eigenartigen Summen der Kanzlei – es ist fünfzehn Uhr – und erlaubt sich kurz einen eher poetischen Gedanken: Er fragt sich, ob das Geräusch aus der Heizanlage stammt oder ob es sich dabei um die Seele des verstorbenen Frederick Phyle Hubbard handelt, die keine Ruhe finden kann und durch die Gänge und Hallen ihrer Kanzlei wandelt.
Die zyklische Bewegung der Kanzlei – wie auch sie selbst – kommt Ralph Dudley nur höchst selten in den Sinn. Natürlich hat er kürzlich eine Begeisterung ganz besonderer Art verspürt. Zum letzten Mal ist diese Freude über ihn gekommen, als er endlich den Abschluss an der Uni geschafft hatte, wenn auch mit unterdurchschnittlichen Noten. Alles hat sich zum Besseren gefügt: Clayton ist tot, sein Geheimnis damit gewahrt, und die Fusion kann als geplatzt angesehen werden.
So vermag Dudley seine ganze Aufmerksamkeit der Adoption von Junie zuzuwenden.
Er hat es sich wieder beigebracht, Gerichtsakten und Urteile zu studieren (eine Fähigkeit, die er nach dem Uniabschluss rasch vergessen hat), und er setzt sich noch einmal mit den geradezu byzantinischen Formalitäten und Ritualen vor Gericht auseinander – Format und Maß des Antragsformulars, die korrekten Überschriften, die exakten Aktenzeichen. Und er übt sich im mündlichen Plädoyer.
Wie Thom Sebastian bereitet auch ihm einige Sorge, was Taylor Lockwood über ihn in Erfahrung gebracht hat. Hin und wieder schleicht sich deswegen ein störender Gedanke in seinen Kopf. Doch in der Hauptsache nehmen ihn die Vorbereitungen zur Adoption von Junie voll und ganz in Anspruch.
Er besucht eine Benefizdinnerparty, und es gelingt ihm, den Platz neben der Ehefrau des geschäftsführenden Managers eines Konzerns zu ergattern, den Burdick schon seit Jahren umwirbt. Er macht ihr artige Komplimente und ist überaus charmant, und er vermeidet es, auf die Narben des schlecht ausgeführten Faceliftings zu starren. Doch dann unterläuft ihm ein gravierender Fehler, indem er beim Dessert eine beliebte Anekdote aus dem Gerichtssaal zum Besten gibt: Ich erinnere mich an eine junge Anwältin – in Wahrheit hatte er die Geschichte
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