Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein toedlicher Plan

Titel: Ein toedlicher Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Deaver
Vom Netzwerk:
Sie hatte den Mund wie in Momenten größter Angst oder vor dem sexuellen Höhepunkt leicht geöffnet. Der Fahrtwind stach ihr ins Gesicht, doch dieser Schmerz beschleunigte nur das Vergessen. Taylor hüpfte über leichte Erhebungen wie ein Mädchen beim Seilspringen. Einmal, als ihre Skier gerade den Boden verlassen hatten, landete sie so sanft, als wäre der Schnee angestiegen, um die Unterseiten ihrer Bretter zu streicheln. Bäume, Sträucher und andere Skifahrer sausten wie Fahnen an ihr vorüber, und es kam ihr so vor, als hielte alle Welt den Atem an, um das schneidende Zischen ihrer Bretter zu vernehmen.
    Taylor glaubte mittlerweile eine Geschwindigkeit von sechzig oder siebzig Meilen in der Stunde erreicht zu haben. Ihr Haar flatterte im Wind. Sie wünschte, sie hätte Mitchells Helm aufgesetzt, nicht um der größeren Sicherheit willen, sondern um der Luft und dem Wind einen geringeren Widerstand zu bieten.
    Und dann war es vorüber. Sie war unten angekommen und bremste ab. Ihre Oberschenkel schmerzten zwar von der abrupten Bewegung, doch sie war ganz berauscht von der Furcht und dem Triumph.
    Sie machte die Abfahrt viermal. Doch beim letzten Mal kam sie auf einer Eisplatte ins Schlingern und musste heftig mit den Armen rudern, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Das ernüchterte sie schlagartig.
    Das reicht, ein Selbstmord pro Woche ist genug, sagte sie sich. Doch bei dem Gedanken an Wendall überfielen sie jetzt keine Schuldgefühle mehr. Taylor konnte sogar lachen, als sie langsamer wurde und dann die Abfahrt mit ein paar sehenswerten Schwüngen beendete.
    Ein großer, schmaler Mann näherte sich ihr und sagte mit deutschem Akzent: »Das waren aber ein paar rasante Abfahrten. Haben Sie Lust auf eine Wiederholung?«
    »Oh, nein, ich glaube nicht.«
    »Wie wär’s dann mit einem Drink?«
    »Tut mir Leid«, Taylor zog die Skier aus und legte sie sich über die Schulter, »aber ich bin mit meinem Freund hier.«
    Und in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass genau dies tatsächlich zutraf.
    Vormittags fuhr sie Ski, und er arbeitete.
    Wenn sie ins Hotelzimmer zurückkehrte, fand sie den Raum übersät mit Papieren vor, während Mitchell gerade mit jemandem im New Yorker Büro oder in New Orleans telefonierte. Taylor ließ sich dann auf einem Stuhl nieder, zog Pullover, Hose und BH aus und massierte sich die brennenden Ober- und Unterschenkel.
    Für gewöhnlich legte Reece gleich auf und ließ Akten Akten sein.
    Nach dem Mittagessen besuchten sie Antiquitätengeschäfte. Hier fand man allerdings nicht die wertvollen Kollektionen von Tellern oder wissenschaftlichen Geräten aus Messing, wie sie in Connecticut oder New York angeboten wurden, sondern eher Möbel und Hausrat – staubige Stühle, normale handgefertigte Tische, Kommoden, Einmachgläser, Himmelbetten und Kleiderschränke. Keiner der Händler schien zu erwarten, dass die beiden etwas erstanden, und tatsächlich kauften sie nicht ein Stück.
    Abends aßen sie in einem von dem halben Dutzend Inns, die im Grunde austauschbar waren. Dort gab es Kalbskotelett, Steak, Brathähnchen, Ente à l’orange oder Lachs in Mandelteig. Danach nahmen sie im Gästeraum vor dem gewaltigen offenen Kamin noch einen Drink zu sich.
    In manchen Nächten liebten sie sich, in anderen nicht, und wenn sie ruhig im Bett lagen, unter der Steppdecke mit ihren tausenden von Baumwollsechsecken, spürten sie die Oberschenkel des anderen und rochen die Kälte, die durch das einen Spalt weit geöffnete Fenster drang und sich auf dem Boden sammelte. Bis zum Morgen würde sie den ganzen Raum ausgefüllt und auch ihr Bett erobert haben. Reece und Taylor wechselten sich darin ab, den Heizkörper in Gang zu setzen. Sie warteten ungeduldig auf das
Whupp
der Gasflamme und unterhielten sich dabei über ihre Pläne für den neuen Tag.
    Taylor Lockwood begann Wendall Clayton völlig zu vergessen.
    Einige hundert Meilen südlich von Cannon dreht sich das Rad von Hubbard, White & Willis weiter, ohne einen Moment innezuhalten.
    Donald Burdick hat dafür eine einfache Metapher gefunden: Das Leben in der Kanzlei verläuft wie ein Uhrwerk, ein präziser Mechanismus aus Metallteilen, Federn, Hebeln und Schaltern, die alle in einer komplexen Relation zueinander stehen. Doch anders als bei einer Uhr läuft der Mechanismus in der Kanzlei geräuschlos. Burdick genießt es, wie exakt alle Teile zusammenpassen, wie die Teile sich innerhalb subtiler Toleranzen bewegen. Hubbard, White & Willis – sein

Weitere Kostenlose Bücher