Ein toedlicher Plan
Staub ins Gesicht. Sie blinzelte. Vorhin hatte sie sich in Gedanken so sehr mit Linda beschäftigt, dass sie an der gesuchten Hausnummer vorbeigelaufen war. Sie kehrte um und betrat die schäbige Mietskaserne. In der Vorhalle, in der es entsetzlich stank, war die Gegensprechanlage herausgerissen worden. Doch die Tür war nicht versperrt und schlug im Wind wie eine Saloontür in einer Geisterstadt. Taylor stieg die verdreckten Stufen hinauf.
»Natürlich gehört das meiste davon der Bank«, sagte Sean Lillick, während er auf dem Boden hockte und nach einer sauberen Socke suchte. Taylor Lockwood, die vom Treppensteigen noch ganz außer Atem war, starrte auf einen Berg von Keyboards, Drähten, Kisten, Lautsprechern und einem mitgenommen aussehenden Computerterminal.
Vor allem aber waren da Kabel über Kabel.
Lillick, ein schmaler, dunkelhaariger junger Mann von vielleicht vierundzwanzig Jahren, roch an mehreren Socken und warf sie wieder fort. Er trug schwarze Jeans und ein ärmelloses T-Shirt. Vor ihm standen seine Stiefel. Den einzigen Hinweis auf seinen eigentlichen Job bildeten zwei Anzüge und drei weiße Hemden, die unterschiedlich stark zerknittert waren und an krumm und schief in die Wand geschlagenen Nägeln hingen. Jetzt hob er den Kopf und sah Taylor an. »Entweder sind Sie verwirrt oder beeindruckt. Genauer kann ich Ihre Miene nicht deuten.«
»Hier sieht es etwas alternativer aus, als ich es mir vorgestellt habe.« Lillicks Wohnung wirkte wie ein einziger Flickenteppich. Er hatte Sperrholzplatten, Plastikstücke und Blechteile vor Löcher und Risse in den Wänden genagelt. Keine zwei Stücke passten wirklich zusammen, der Putz kam an mehreren Stellen herunter, und einige Dielenbretter waren geborsten oder fehlten ganz. Die Wohnzimmereinrichtung setzte sich aus einer nackten Birne an der Decke, einer Stehlampe, einer Art Bett und einem Schreibtisch zusammen. Und dazwischen mehrere Kilometer Kabel.
Lillick fand endlich eine Socke, an der er nichts zu beanstanden hatte, und zog sie an.
»Nehmen Sie doch Platz.«
Taylor sah sich etwas hilflos um.
»Hm, ja, wie wäre es mit dem Bett?«
»Bett?«, fragte sie ungläubig. Bei dem Lager handelte es sich um eine Matratze, die auf mehreren umgedrehten Milchkästen lag. Als sich Taylor setzte, gab sie bedenklich nach.
»Das müssen Sie sich anhören, Taylor. Habe ich mir gerade ausgedacht. Ich werde den Witz bei einem meiner nächsten Auftritte zum Besten geben: Was versteht man unter einem Schuppie?«
»Keine Ahnung.«
»Einen Yuppie mit abgeschlossener Schulausbildung.«
Taylor lächelte höflich. Lillick schien sich überhaupt nichts aus ihrer matten Reaktion zu machen und schrieb den Scherz gleich in sein Notizbuch. Taylor trat neugierig an das Keyboard.
»Sie halten das bestimmt für eine Orgel«, sagte Lillick, »aber …«
»Ich halte das für einen Yamaha DX-7 Synthesizer mit Digitalsampler, MIDI und einem Linn-Sequencer, dessen RAM-Speicher eine Kapazität von mindestens hundert Sequenzen hat.«
»Mann, da bin ich aber froh, dass Sie nicht Billard spielen. Sind Sie vielleicht Musikerin oder so?«
»Wäre das schlimm?«
Er winkte ab. Sie setzte sich auf den wackligen Stuhl, schaltete den Yamaha ein und spielte »Ain’t Misbehavin’« an.
»Die Anlage kommt mit dieser Art von Musik nicht klar«, sagte Lillick. »Sie hat bestimmt gleich einen Kurzschluss.«
»Was für eine Art von Musik spielen Sie denn?«
»Postmodern. Post-New-Wave. Ich integriere Musik und Show, und ich nenne mich selbst Sound-Maler. Hört sich entsetzlich an, was?« Das entsprach hundertprozentig Taylors Ansicht, aber sie hütete sich, es auszusprechen, und betrachtete seine Notenblätter. Zusätzlich zu den Standardzeichen waren hier auch gemalte Pfannen, Hämmer, Glühbirnen, Glocken und eine Pistole zu entdecken.
»Als ich mit dem Komponieren angefangen habe, war ich Serialist. Danach habe ich mich zum Minimalisten gewandelt. Mittlerweile befasse ich mich mit nichtmusikalischen Elementen wie Choreografie und Ausdruckstanz. Und auch mit der Bildhauerei. Ich liebe die Arbeit von Philip Glass, aber ich bin nicht ganz so thematisch wie er. Mehr in der Art wie Laurie Anderson. Ich glaube, in der Kunst gibt es viel Zufälligkeit. Haben Sie vielleicht schon mal was komponiert?«
»Sie sprechen mit einer Vertreterin des klassischen Jazz, Sean.«
Taylor schaltete den Synthesizer ab. Ein sattes Ploppen ertönte aus den Lautsprechern.
»Haben Sie vielleicht ein Bier?«,
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