Ein toedlicher Plan
Papiere zu setzen, die die Rechtsvertreter vorbereitet haben. Sie möchten endlich nach Hause. Einige Anwälte sind in einer Konferenzschaltung mit Los Angeles, und einer versucht vergeblich, die Firma in Berlin zu erreichen, die die europäischen Angelegenheiten regelt. Gemäß der Zeitdifferenz müsste jetzt das Geschäftsleben in Deutschland beginnen, aber in Berlin meldet sich niemand, nicht einmal ein Anrufbeantworter. Anwälte anderer Nationen sind oft sehr erstaunt darüber, wie hart und lange ihre amerikanischen Kollegen arbeiten.
Taylor Lockwood weiß, mit welchen Schwierigkeiten die Rechtsvertreter ringen, denn sie hält sich schon einige Zeit in dem Büro auf, das neben dem Konferenzraum 164 liegt. Sie hört, wie man dort immer unfreundlichere Witze über die Deutschen reißt. Aber Taylor hat im Moment ihre eigenen Sorgen. John Silbert Hemming hat nämlich vergessen, ihr zu sagen, dass das Pulver nicht wieder abgeht.
Sie hat gerade Fingerabdrücke von Reeces aufgebrochenem Aktenschrank genommen und mit viel Mühe die Klebestreifen von zwei Dutzend Latenten auf Karten befestigt. Jetzt versucht sie sich zu erinnern, was Hemming ihr alles mitgeteilt hat. Er hat ihr erklärt, was für Arten von Pulver es gibt, wie man es auf die Flächen aufträgt und wie man dann mit einem Pinsel die überschüssigen Körner entfernt. Aber er hat nichts davon erwähnt, dass das Zeug wie eingetrocknete Tinte klebt. Sobald man es einmal aufgetragen hat, lässt es sich nicht wieder entfernen. Bei dem Versuch, das Pulver wegzuwischen, hat sie den Fleck nur noch vergrößert. Sie macht sich nicht so sehr Sorgen um den Aktenschrank, sondern um Reeces Kaffeebecher, auf dem »Der Welt größter Anwalt« steht. Taylor hat auf ihm seine Fingerabdrücke genommen, um unter denen auf dem aufgebrochenen Metall die von Reece gleich aussortieren zu können. Das Pulver hält sich hartnäckig wie Sekundenkleber auf dem Porzellan. Sie bemüht sich nach Kräften, es zu entfernen. Dann hält sie inne und sieht an sich hinab. Mit zwei Fingern fasst sie an ihre Bluse und prüft, ob das Pulver sich ausschütteln lässt. Wieder kein Erfolg. Sie pustet auf den Fleck. Dabei gelangen auch Speicheltropfen auf die Bluse. Das flüssige Pulver dringt in den Stoff ein. Taylor schwant, dass dieser Fleck nie wieder herausgeht. Sie seufzt und zieht ihre Jacke an, um die Stelle zu verdecken.
Im Konferenzraum ist es lauter geworden. Allgemeines Lachen und Rufen. Die Deutschen sind endlich aufgewacht. Die Störung ist beseitigt, und es geht weiter.
Taylor nutzt die Gelegenheit, um hinaus auf den Flur zu schlüpfen. Sie huscht rasch in Ralph Dudleys Büro, nimmt dort Fingerabdrücke und eilt weiter zu Thom Sebastians Raum, um sich auch von ihm Proben zu beschaffen.
Wieder zurück an ihrem Arbeitsplatz, schiebt sie die Karten mit den Klebestreifen in einen Umschlag und zieht ihren Mantel an. Gerade als ihr Blick auf die Wand fällt, wo ihr von dem giftgrünen Terminkalenderblatt, das sie dort angebracht hat, die Worte BANQUE INDUSTRIELLE DE GENÈVE gegen HANOVER & STIVER ins Auge springen, kommt es hinter ihr zu einer Explosion.
Taylor wirbelt auf dem Absatz herum und atmet tief ein, um einen Schrei zu unterdrücken.
Sie sieht sich einem jungen Mann in Hemdsärmeln gegenüber, der sie verlegen anstarrt. In den Händen hält er eine Flasche Veuve Cliquot, die er gerade geöffnet hat. Er entschuldigt sich dafür, sie erschreckt zu haben. »Wir sind im Moment zum Abschluss gekommen«, erklärt er eifrig. »Die Deutsche Bank hat endlich ihre Zustimmung gegeben. Ist das nicht super?«
»Freut mich wirklich sehr«, entgegnet sie und verfolgt, wie er zwei weitere Flaschen öffnet und sie dann auf einem silbernen Tablett nach oben trägt.
Als Taylor Lockwood ihre Handtasche nimmt, zeigt die Digitaluhr auf ihrem Schreibtisch Mitternacht an. Aus Mittwoch wird Donnerstag, dem 27. November folgt der 28., und der Fall Hanover & Stiver ist wieder einen Tag näher gerückt.
Um drei Uhr morgens, als Taylor längst in ihrem Apartment war und von der lyrischen Topographie der Papillarlinien träumte und zur gleichen Zeit die Anwälte, die den Firmenzusammenschluss perfekt gemacht hatten, nach Hause zu ihren Betten eilten, stand der Dekorateur vor Lockwoods Schreibtisch in der Halsted Street. Er trug nicht mehr den Firmenoverall, sondern eine hellblaue Uniform mit dem Abzeichen eines Wachmanns. Seine heutige Aufgabe nahm ihn ganz in Anspruch. Er musste einen japanischen
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