Ein toedlicher Verehrer
über ihre Wangen. »Darum bin ich in meine Unterkunft, in den Bungalow. Dort steht auch ein Telefon. Ich brauchte nicht danach zu suchen. Ich habe die Polizei angerufen, und die hat mich am Apparat gehalten. Ich wollte unbedingt auflegen, aber das haben sie nicht zugelassen. Sie haben mich am Apparat gehalten.«
»Wieso wollten Sie auflegen?«
»Cahill«, antwortete Sarah mit bebender Stimme und Tränen in den Augen. »Ich wollte Cahill anrufen. Ich habe ihn gebraucht.«
Cahill stürzte aus dem Zimmer. Er rannte auf die Toilette, verriegelte die Tür, beugte sich über die Schüssel und kotzte.
24
Es dauerte seine Zeit, bis Sarah einen zusammenhängenden Gedanken fassen konnte, aber Zeit hatte sie wahrlich genug. Über lange Strecken hinweg saß sie allein im Vernehmungsraum, unterbrochen nur von kurzen Phasen, in denen der sommersprossige Detective mit dem sandblonden Haaren ihr einen
Haufen Fragen stellte. Wenn sie auf die Toilette musste, wurde sie hingebracht. Wenn sie etwas zu trinken wollte, wurde es ihr gebracht.
Sie rätselte, ob man sie gehen lassen würde, wenn sie darum bäte. Sie war nicht verhaftet worden, sie hatte keine Handschellen angelegt bekommen, sie war freiwillig mitgekommen. Außerdem wusste sie sowieso nicht, wohin sie sollte. Im Bungalow konnte sie unmöglich bleiben, aber sie war auch viel zu verstört gewesen, um ihre Kleider und andere Kleinigkeiten einpacken zu lassen, damit sie wieder ins Hotel ziehen konnte, und zu Cahill konnte sie auf keinen Fall zurückkehren. Als sie endlich wieder etwas klarer denken konnte, war ihr zumindest das sonnenklar.
Er hielt sie für schuldig. Er glaubte, sie hätte einen Mord begangen.
Vorhin, im Bungalow, hatte er sie nicht einmal berührt, sondern nur von der Tür aus mit kaltem Blick beobachtet. Nicht zu vergleichen mit damals, als der Richter ermordet worden war; auch damals hatte sie unter Verdacht gestanden, bis er ihre Geschichte überprüft hatte, aber damals war ihr Verhältnis vollkommen unpersönlich gewesen. Sie hatte ihn verstanden. Jetzt dagegen... jetzt kannte er sie besser als jeder andere Mensch. Gestern war sie bis auf die Zeitspanne, in der er seinen Einsatz erledigt hatte, die ganze Nacht mit ihm zusammen gewesen. Sie hatten sich geliebt, und das nicht nur einmal. Und trotzdem traute er ihr zu, dass sie gleich nach ihm das Haus verlassen hatte, zu den Lankfords gefahren war, beide mit einem Kopfschuss hingerichtet hatte und auf dem Rückweg zu seinem Haus schnell im Supermarkt eingekehrt war, um Eis zu kaufen.
Sie hätte noch verstanden, dass er seine Arbeit tun musste. Es
wäre nicht leicht gewesen, aber sie hätte ihn verstanden. Dass er sie für schuldig hielt, konnte sie nicht mehr verstehen.
Der Einschnitt war so tief und so grausam, dass sie nicht sicher war, ob die Wunde jemals heilen würde. Mit einem einzigen Hieb hatte er sämtliche Bande zwischen ihnen durchtrennt und sie allein im luftleeren Raum zurückgelassen. Sie fühlte sich wie eine Astronautin, der man die Rettungsleine gekappt hatte, ohne dass jemand vom Mutterschiff aus einen Versuch unternahm, sie zurückzuholen. Sie war verloren, sie trieb haltlos im Nichts, ohne dass es ihr noch viel ausmachte.
Die Trauer, die sie nach dem Mord an Richter Roberts empfunden hatte, war nichts verglichen mit dem, was sie jetzt fühlte. Sie trauerte nicht nur um den gewaltsamen Tod der Lankfords, jener freundlichen, schlichten Menschen, die sie sofort ins Herz geschlossen hatte; sie trauerte ebenso sehr um Cahill, um den Zauber, der sie scheinbar vereint hatte. Sie liebte ihn, doch er erwiderte ihre Liebe nicht, er konnte sie nicht erwidern, denn um jemanden zu lieben, musste man diesen Menschen wirklich kennen, und in diesem Fall hätte er wissen müssen, was sie am Leben hielt, was sie zu dem Menschen machte, der sie war. Cahill hatte offenbar keine Ahnung, wer sie war. Andernfalls wäre er auf sie zugegangen und hätte gesagt: »Ich weiß, dass es nicht gut aussieht, aber ich glaube an dich. Ich stehe zu dir.«
Stattdessen hatte er sie angesehen, als wäre sie der letzte Dreck, und war anschließend verschwunden.
Das war keine Liebe. Er hatte sie vögeln wollen, sonst nichts. Und das hatte er, oh ja, das hatte er.
Jetzt begriff sie, warum ihn die Entdeckung, dass seine Frau ihn betrogen hatte, so verbittert und misstrauisch gemacht hatte. Sie wusste nicht, ob sie je wieder fähig würde, irgendjemandem wirklich zu vertrauen. Ihrer Familie natürlich schon; die
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