Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
er im Innenhof vor dem domus hospitale herumschlich.» Er lächelte verlegen. «Doch er täuschte mich und entkam.»
Fidelma nickte. «Ronan hat die Örtlichkeiten sehr genau in Augenschein genommen. Wie Ihr alle wißt, gibt es hinter dem domus hospitale einen weiteren, kleineren Innenhof. Unmittelbar unter den Fenstern des Gästehauses verläuft ein schmaler Sims. Doch an dem neueren Gebäude, das an das Gästehaus grenzt, führt ein sehr viel breiterer Sims fast bis zu der Kammer, in der man Bruder Eanred untergebracht hatte. Das Glück war auf der Seite der Verschwörer, denn in diesem neueren Gebäude, von dem ich spreche, befand sich ausgerechnet das munera peregrinitatis , in dem Osimo und Ronan ihr officium hatten. Der Sims bot ihnen die Gelegenheit, ins domus hospitale zu gelangen, ohne dabei die Aufmerksamkeit der auf den Treppen und in den Innenhöfen postierten custodes auf sich zu ziehen.
Um ungestört eindringen zu können, mußte allerdings Bruder Eanred rechtzeitig aus seinem Zimmer verschwinden. Cornelius überredete daher Eanred, an dem fraglichen Abend mit in seine Villa zu kommen, und lud ihn zum Wein ein, während seine Komplizen über Eanreds Kammer in Wighards Gemächer eindrangen. Alles lief wie geplant, bis …»
Fidelma hielt inne und betrachtete aufmerksam die Gesichter der Anwesenden.
Marinus starrte noch immer mit steinernem Gesicht ins Leere, doch bei Gelasius regte sich offenbar Neugier.
«Bis was?» fragte er. «Ist etwas dazwischengekommen?»
«Der Plan sah vor, daß Ronan sich in Wighards Gemächer schlich. Osimo sollte in Eanreds cubiculum warten. Ronan hatte die Aufgabe, einen Sack mit den kostbaren Geschenken zu füllen und ihn Osimo zu bringen, der ihn dann über den Sims zurück ins munera peregrinitatis schaffte. Ronan würde dann einen zweiten Sack füllen und ihm folgen», erklärte Eadulf.
«Doch als Ronan in Wighards Schlafgemach kam, fand er den zukünftigen Erzbischof tot auf seinem Bett», ergriff Fidelma wieder das Wort. «Zuerst wollte Ronan fliehen, doch dann fiel ihm ein, daß Wighards Tod ihrem ursprünglichen Plan nicht entgegenstand. Er öffnete die hölzerne Truhe, füllte einen Sack, versteckte die Sachen, von denen er annahm, daß sie sich nicht in klingende Münze verwandeln ließen, und eilte zu Osimo. Dieser kehrte über den Sims ins andere Gebäude zurück, während Ronan noch einmal in Wighards Gemächer schlich, um den Rest der Beute zu holen.
Er wollte gerade mit dem zweiten Sack durch Eanreds Kammer hinausklettern, als ihm voller Schreck einfiel, daß er die Tür zu Wighards Gemächern nicht verschlossen hatte. Er traf die folgenschwere Entscheidung, ein drittes Mal auf den Flur hinauszuschleichen. Er ließ den zweiten Sack am offenen Fenster stehen, ging hinaus – und stieß auf decurion Marcus Narses, der die offene Tür bereits gesehen hatte. Wie Ronan befürchtet hatte, hatte Narses Wighards Leiche entdeckt, ehe er und Osimo ihre Beute fortschaffen konnten. Ronan saß in der Falle. Geistesgegenwärtig versuchte er, über die Treppe zu fliehen und den decurion damit von seinem Freund Osimo und dem Diebesgut abzulenken.»
Fidelma hielt inne und lächelte matt. «Marcus Narses selbst gab mir unwissentlich den entscheidenden Hinweis darauf, daß Ronan den Tatort nicht unmittelbar nach dem Mord verlassen haben konnte. Der decurion sagte, als er Wighard gefunden habe, sei die Leiche bereits kalt gewesen. Hätte Ronan Wighard erst kurze Zeit davor ermordet, hätte sie noch warm sein müssen. Wighard war zu diesem Zeitpunkt jedoch mindestens schon eine Stunde oder länger tot.»
Gelasius räusperte sich. «Warum wurde der zweite Sack bei der Durchsuchung des Gebäudes nicht gefunden?»
«Weil Osimo, nachdem er eine Weile auf Ronan gewartet hatte, besorgt war und zurück in Eanreds cubiculum schlich. Er fand den verlassenen Sack und hörte die Geräusche draußen im Flur. Als ihm klar wurde, daß Ronan gefaßt worden war, beschloß er, den zweiten Sack an sich zu nehmen und ihn in sein officium zu bringen. Anschließend versteckte er beide Säcke in seiner Unterkunft, wo Cornelius sie abholen sollte, um sie gegen die Bücher einzutauschen.»
Kurz ließ Fidelma schweigend den Blick von einem zum anderen schweifen, dann faßte sie das bisher Gesagte zusammen: «Der Diebstahl fand also rein zufällig in der gleichen Nacht statt wie der Mord. Beide Verbrechen haben nichts miteinander zu tun.»
«Aber wer hat Wighard dann ermordet?» ergriff Marinus
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