Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
Hand. «Ihr müßt Euch etwas taktvoller ausdrücken, Fidelma», sagte er.
«Soll das ein ausreichender Tadel sein?» kreischte Wulfrun empört. «Wer auf so freche Weise das Andenken eines gottesfürchtigen Erzbischofs besudelt, verdient es, ausgepeitscht zu werden. Es ist eine Beleidigung des Königshauses …»
Fidelma sah sie lächelnd an. «Io saturnalia!» murmelte sie leise.
Die Äbtissin verstummte schlagartig. «Was habt Ihr gesagt?» fragte sie.
Auch Eadulf wußte nicht, was Fidelma damit meinte. Er versuchte, sich zu erinnern, warum sie sich so eingehend nach den Saturnalien erkundigt hatte.
«Es war einmal eine sächsische Prinzessin, die hatte eine ihrer Sklavinnen ins Herz geschlossen», begann Fidelma in harmlosem Plauderton, als wolle sie das Thema wechseln. «Als die Prinzessin mit dem König eines Nachbarreichs vermählt wurde, zog sie mit ihm in sein Königreich. Die Prinzessin war sehr fromm und wollte der Christenheit in ihrer neuen Heimat einen gottgefälligen Dienst erweisen. Sie gründete deshalb auf einer kleinen Insel, die man die Insel der Schafe nennt, ein Kloster, schenkte ihrer Sklavin die Freiheit und setzte sie als Äbtissin ein. Sie hatte dieser Sklavin einmal sehr nahe gestanden … fast so nahe wie einer leiblichen Schwester.»
Wulfruns Gesicht war jetzt kreidebleich. Eine Hand umklammerte den Schal um ihren Hals. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Fidelma an und saß da wie ein Standbild.
Der Bann wurde von Gelasius gebrochen, der wie die meisten anderen nicht begriff, wovon Fidelma eigentlich sprach. Nur Bruder Ine lächelte verschmitzt vor sich hin.
«Das ist eine äußerst lobenswerte Geschichte», sagte Gelasius in gereiztem Ton. «Doch was hat das alles mit unserem Fall zu tun? Haben es nicht viele ehemaligen Sklaven in unserer Kirche zu hohem Ansehen gebracht? Ich denke, das brauchen wir nicht eigens zu erwähnen, vor allem nicht mitten in unseren Beratungen über Wighards gewaltsamen Tod.»
«Nun gut», entgegnete Fidelma und schürzte die Lippen, ohne den Blick auch nur eine Sekunde lang von den unergründlichen Augen der Äbtissin abzuwenden. «Nur eines möchte ich noch hinzufügen, nämlich daß die Sünde des Stolzes die besten Absichten zerstören kann. Bei den Saturnalien, einem römischen Fest aus heidnischer Zeit, war es, wie man mir sagte, Sitte, daß die Sklaven die Kleider ihrer Herrinnen und Herren trugen. Die befreite Sklavin, von der ich Euch berichtet habe, wurde von ihrer Herrin großzügigerweise ‹Schwester› genannt, und weil sie sich ihrer Herkunft schämte, versuchte sie, diese Bezeichnung zur Wirklichkeit werden zu lassen. Das Ergebnis war jedoch, daß sie alle um sich herum wie Sklaven behandelte und so tat, als sei sie tatsächlich von königlichem Geblüt, anstatt sich in Gerechtigkeit und Bescheidenheit zu üben.»
Eadulf, dem allmählich dämmerte, was die zunächst unerklärliche Abschweifung zu bedeuten hatte, betrachtete die hochmütige Äbtissin mit neuen Augen.
Wulfrun war früher also Sklavin gewesen? Fingerte sie nicht ständig an ihrem Schal herum? Verbargen sich unter diesem Schal die Narben, die ein eiserner Halsreif dort hinterlassen hatte? Eadulf sah Fidelma an und fragte sich, was aus ihrer Enthüllung folgern würde, doch es schien, als habe keiner von den anderen verstanden, was Fidelma gemeint hatte. Vor allem Gelasius wirkte gänzlich verwirrt.
«Ich muß gestehen, es fallt mir schwer, Euch zu folgen», sagte er schließlich. «Können wir nicht zu dem Mörder zurückkehren, dem Ronan Ragallach die Beichte abgenommen hat?»
Fidelma nickte mit Nachdruck. «Nur allzu gerne! Ronan begrub den Mann, verließ kurze Zeit später das Königreich Kent und reiste nach Rom. Er verletzte das Beichtgeheimnis nicht und gab auch den Namen des Geistlichen, der durch die Ermordung seiner Familie zu hohen kirchlichen Weihen gelangen wollte, nicht preis. Bis er Wighard hier in Rom sah, und zwar nicht nur als gewöhnlichen Pilger, sondern als einen Ehrengast des Heiligen Vaters, der in Kürze von ihm zum Erzbischof von Canterbury geweiht werden sollte. Ronan hatte das Gefühl, das schreckliche Geheimnis nun nicht länger für sich behalten zu können. Also erzählte er Osimo Lando davon, der sein anam chara oder ‹Seelenfreund› war, wie wir dies in unserer Heimat nennen, wahrscheinlich aber auch mehr. In jedem Fall führte dieses Gespräch letztlich zu dem schrecklichen Racheakt, der Wighard das Leben kostete.»
Fidelma hielt
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