Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
dem bettelnden Jungen Geld gab.
«Pelagius?» fragte Eadulf.
«Das Evangelium des Matthäus», erwiderte Fidelma ernst. «Kapitel fünf, Vers zweiundvierzig.»
Eadulf stieß einen tiefen, besorgten Seufzer aus.
«Hier, mein guter sächsischer Freund», Fidelma blieb unvermittelt stehen und legte eine Hand auf Eadulfs Arm, «könnt Ihr erkennen, wie tief der Streit zwischen Rom und der Lehre Irlands und Britanniens geht!»
«Die sächsischen Königreiche haben sich zu der römischen Kirche bekannt, Fidelma. Ihr werdet mich nicht bekehren. Ich bin nur ein einfacher Mönch und kein Religionsgelehrter. Und wenn Oswiu von Northumbrien sich in Witebia entschieden hat, der Lehre Roms zu folgen, ist der Streit damit für mich beendet. Vergeßt nicht, daß ich der Sekretär und Dolmetscher des Erzbischofs von Canterbury bin.»
Fidelma sah ihn belustigt an. «Habt keine Angst, Eadulf. Ich bin bloß noch immer nicht davon überzeugt, daß Rom in allen Fragen recht hat. Aber um unserer Freundschaft willen wollen wir das Thema lieber ruhen lassen.»
Seite an Seite gingen sie schweigend die breite Straße hinunter. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten mußte Fidelma sich eingestehen, daß sie das Zusammensein mit Eadulf als äußerst angenehm empfand. Zwar machte es ihr Spaß, ihn ab und zu herauszufordern, und er ließ sich stets gutmütig auf einen Disput mit ihr ein, doch es herrschte zwischen ihnen keinerlei Feindseligkeit.
«Wie ich erfahren habe, ist Wighard vom Heiligen Vater wohlwollend empfangen worden», bemerkte Fidelma nach einer Weile.
Seit ihrer Ankunft vor einer Woche hatte sie Eadulf kaum zu Gesicht bekommen. Sie hatte gehört, daß man Wighard und sein Gefolge eingeladen hatte, als persönliche Gäste des Heiligen Vaters Vitalian im Lateranpalast zu wohnen. Fidelma nahm an, daß der Bischof von Rom über die Nachricht von Canterburys Sieg bei der Synode von Witebia sehr erfreut gewesen war.
Fidelma hingegen war in einer kleinen Herberge in einer Seitenstraße der Via Merulana gleich neben dem von Papst Pius I. für die Heilige Prassede errichteten Oratorium untergekommen, deren rasch wechselnde Gästeschar hauptsächlich aus Pilgern bestand. Dem Haushalt standen ein gallischer Priester, ein Diakonus namens Arsenius, und seine Frau, die Diakonin Epiphania, vor. Die kinderlos gebliebenen älteren Eheleute waren wie Mutter und Vater für die fremden Besucher, viele von ihnen peregrinato pro Christo , die aus Irland kamen.
In ihrer ersten Woche hatte Fidelma von der berühmten Stadt kaum mehr gesehen als das bescheidene Haus von Arsenius und Epiphania, die Herrlichkeit des Lateranpalasts und die erschreckende Armut in den Straßen dazwischen.
«Der Heilige Vater hat uns äußerst wohlwollend aufgenommen», bestätigte Eadulf. «Man hat uns im Lateranpalast sehr ansprechende Quartiere zugeteilt, und wir wurden bereits zu einer Audienz empfangen. Morgen wird es einen förmlichen Austausch von Geschenken und ein großes Festbankett geben, und in vierzehn Tagen wird der Heilige Vater Wighard öffentlich zum Erzbischof von Canterbury weihen.»
«Und anschließend reist Ihr zurück ins Königreich Kent?»
Eadulf nickte. «Und Ihr kehrt nach Irland zurück?» fragte er mit einem raschen Seitenblick.
Fidelma verzog das Gesicht. «Sobald ich Ultans Briefe überbracht und die Segnung für die Regularien meines Klosters bekommen habe. Ich bin schon viel zu lange von Irland fort.»
Eine Weile lang schritten sie stumm nebeneinander her. Trotz der harzig duftenden Zypressen, in deren Schatten zahllose Händler ihre Waren feilboten, war die Straße staubig und heiß. Da es sich um einen der wichtigsten Durchfahrtswege Roms handelte, riß der Verkehr niemals ab. Und doch konnte Fidelma bei all dem Lärm noch ganz deutlich das Zirpen der Grillen hören, die sich in der erdrückenden Hitze zu kühlen versuchten. Als plötzlich eine Wolke die Sonne verdunkelte, hörte das seltsame Geräusch schlagartig auf. Es hatte einige Zeit gedauert, bis Fidelma seine Bedeutung ergründet hatte.
Der Hang des Esquilin war dünn besiedelt, es war eine wohlhabende Gegend mit großen Häusern, Weinbergen und Gärten. Hier hatte Servius Tullius seinen Eichenhain anlegen lassen, Fagutalis Birken gepflanzt, der Dichter Vergil ein Anwesen besessen, Nero sein «Goldenes Haus» erbaut und Pompeius seine Feldzüge gegen Julius Cäsar ersonnen. Während seines zweijährigen Aufenthalts in Rom hatte Eadulf diese Gegend gründlich
Weitere Kostenlose Bücher