Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
geäußert, Schwester.»
Fidelmas Augen funkelten. «Ja», räumte sie ein. «Selbst in der Herberge, in der ich wohne, gibt es Bücher, die fremden Pilgern den Weg zu den unzähligen Sehenswürdigkeiten, Heiligtümern und Grabmalen weisen. Und dort bringt man sie dazu, sich von ihrer spärlichen Barschaft zu trennen, um Reliquien und Andenken zu kaufen. Eines dieser Bücher trägt den Titel Noticia Ecclesiarum Urbis Romae …»
«Aber es ist doch notwendig weiterzugeben, wo die heiligen Stätten sich befinden und wer wo beerdigt worden ist», unterbrach Eadulf sie empört.
«Ist es auch notwendig, den Pilgern hohe Summen für kleine ampullae oder Fläschchen voller Öl abzuverlangen, das angeblich aus den Lampen der Katakomben und Heiligtümer stammt?» entgegnete Fidelma. «Ich glaube kaum, daß man dem Lampenöl aus Katakomben, in denen tote Heilige begraben liegen, irgendwelche Zauberkräfte zuschreiben kann?»
Eadulf seufzte tief und schüttelte entmutigt den Kopf. «Vielleicht sollten wir den Besuch solcher Sehenswürdigkeiten ganz streichen.»
Sofort bedauerte Fidelma ihre harten Worte.
«Jetzt habe ich mir wohl schon wieder den Mund verbrannt. Verzeiht mir, Eadulf! Bitte!»
Der Sachse versuchte, eine mißbilligende Miene aufzusetzen, doch als er Fidelmas spitzbübisches Grinsen sah, streckte er die Waffen. «Also gut. Vielleicht finden wir ja doch etwas, worauf wir uns beide einigen können. Zum Beispiel steht nicht weit von hier die Kirche der Heiligen Maria vom Schnee.»
«Vom Schnee?»
«Ja. Es heißt, in einer Augustnacht sei Liberius, dem Bischof von Rom, und einem Patrizier namens Johannes die Heilige Jungfrau erschienen. Sie sagte, sie sollten auf den Esquilin genau an der Stelle, wo sie am nächsten Morgen ein Fleckchen Schnee finden würden, eine Kirche errichten. Die beiden Männer fanden den Schnee, und genau an dieser Stelle wurde die Kirche erbaut.»
«Solche Geschichten erzählt man sich von zahlreichen Kirchen, Eadulf. Was ist gerade an dieser so besonders?»
«Daß dort zum Gedenken an den Heiligen Aidán von Lindisfarne, der heute vor dreizehn Jahren gestorben ist, eine Messe gelesen wird. Viele irische und sächsische Pilger werden kommen.»
«Dann werde ich nicht fehlen», willigte Fidelma ein. «Aber vorher, Eadulf, würde ich gern das Colosseum besuchen. Ich möchte mit eigenen Augen den Ort sehen, wo so viele Märtyrer des Glaubens den Tod gefunden haben.»
«Gut. Und wir werden nicht mehr über die Unterschiede zwischen Rom, Canterbury und Armagh sprechen.»
«Einverstanden», stimmte Fidelma zu.
In freundschaftlicher Eintracht gingen sie weiter die Via Merulana hinunter. In gebührendem Abstand folgte ihnen, im Schutz der Zypressen, der fremde Mönch mit dem Mondgesicht.
III
Fidelma hatte das Gefühl, erst vor wenigen Minuten eingeschlafen zu sein, als durchdringendes Glockengeläut sie aus dem Schlummer riß. Leise ächzend drehte sie sich um und wollte schon weiter ihren angenehmen Träumen nachhängen, als sie wieder von erneutem Klingeln und dem Klang barscher Stimmen geweckt wurde. Sie hörte, wie die anderen Pilger sich in ihren Betten regten und sich lautstark nach dem Grund für die Störung ihrer Nachtruhe erkundigten. Inzwischen hellwach, schlüpfte Fidelma aus ihrem Bett, warf ihr Gewand über und wollte gerade nach einer Kerze greifen, als es verhalten an der Tür ihrer Kammer klopfte. Ehe sie antworten konnte, schwang die Tür auf, und im Schein der nachts im Flur ständig brennenden Lampe erkannte Fidelma die völlig aufgelöste Hausherrin auf der Schwelle. Epiphania rang die Hände.
«Schwester Fidelma!» jammerte sie in heller Angst.
«Beruhigt Euch, Epiphania», erwiderte Fidelma sanft. «Was ist geschehen?»
«Ein Offizier der custodes , der Wache im Lateranpalast, verlangt, daß Ihr ihn begleitet.»
Schreckensbilder erschienen vor Fidelmas geistigem Auge. Warum war sie Ultans Bitte, in seinem Auftrag nach Rom zu reisen, überhaupt nachgekommen? Warum hatte sie den Fehler begangen, den Heiligen Vater, den Prunk der Geistlichkeit und die Geschäftemacherei mit gutgläubigen Pilgern zu kritisieren? Hatte jemand sie belauscht und angeschwärzt? Obwohl es sie große Mühe kostete, sich zu beherrschen, war ihr äußerlich nichts anzumerken.
«Wohin soll ich ihn begleiten?» fragte sie mit ruhiger Stimme. «Und zu welchem Zweck?»
Doch in diesem Augenblick wurde die Diakonin auch schon unsanft zur Seite geschoben, und in der offenen Tür des
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