Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
sprechen.»
«Bisher müssen wir uns auf Sebbis Wort verlassen, daß Eanred bereits einen Menschen erwürgt hat», wandte Eadulf ein, der ihre Gedanken erraten hatte.
«Wir müssen in dieser Sache sehr genau sein, Eadulf. Sebbi sagte nur, daß Eanred als Sklave seinen Herrn erdrosselte und daß dieses Verbrechen nach Eurem sächsischen Gesetz durch die Zahlung des wergild gesühnt ist.»
«Dennoch …», wollte Eadulf widersprechen.
Fidelma ließ sich nicht beirren. «Laßt uns gehen und nach Eanred suchen. In diesem Zimmer ist es furchtbar stickig. Mein Kopf könnte ein wenig frische Luft gebrauchen.»
Eadulf und Licinius folgten ihr durch den langen Korridor in die große Halle des Palasts, wo wie immer zahllose Menschen in Gruppen zusammenstanden und darauf warteten, ins Innere des Palasts vorgelassen zu werden. Über den prächtigen Mosaikfußboden gingen sie zügig weiter in Richtung domus hospitale . Sie hatten die entsprechende Tür fast erreicht, als ihnen Bruder Sebbi mit großen Schritten und grimmiger Miene entgegenkam.
Bei Eadulfs Anblick blieb er stehen. «Seid Ihr noch immer Berater und Sekretär der sächsischen Gesandtschaft?» zischte er ohne jede Einleitung.
«Wighard von Canterbury hat mich dazu berufen, doch seit seinem Tod …», antwortete Eadulf, erstaunt über Sebbis schroffen Ton. Er zuckte die Achseln. «Ist etwas vorgefallen?»
«Vorgefallen? Vorgefallen? Habt Ihr Abt Puttoc gesehen?»
«Nein. Warum?»
Sebbi sah Furius Licinius an. Der des Sächsischen nicht mächtige Römer konnte dem Gespräch offenbar nicht folgen. Dann warf er Schwester Fidelma einen Blick zu, doch diese senkte scheinbar unbeteiligt die Augen. Schließlich wandte sich Sebbi von Stanggrund wieder an Eadulf. «Wie ich höre, versuchen die Römer wieder einmal, Canterbury einen fremden Bischof aufzuzwingen.»
Eadulf lächelte verkniffen. «Das habe ich auch gehört. Aber ehe Deusdedit vor zehn Jahren als erster Sachse den Thron des Erzbischofs von Canterbury bestieg, waren alle, die in dieses Amt berufen wurden, Römer oder Griechen. Der Herkunft unseres Erzbischofs sollten wir nicht allzu große Bedeutung beimessen. Sind wir vor Gott nicht alle gleich?»
Sebbi schnaubte empört. «Die sächsischen Völker wollen ihre eigenen Bischöfe, keine Fremden. Haben sie das nicht allein schon dadurch bewiesen, daß sie die Iren aus Northumbrien vertrieben haben? Und haben wir Sachsen uns nicht auf Wighard von Kent als unseren nächsten Erzbischof geeinigt?»
«Aber Wighard ist tot», erwiderte Eadulf trocken.
«Allerdings. Und der Heilige Vater sollte unsere Wünsche ernst nehmen, indem er Puttoc an Wighards Stelle zum Erzbischof beruft, nicht irgendeinen Afrikaner.»
«Einen Afrikaner?» Eadulf war verblüfft.
«Ja. Ich habe gerade gehört, Vitalian soll das Amt in Canterbury Abt Hadrian von Hiridanum angeboten haben – einem Afrikaner!»
Eadulf riß erstaunt die Augen auf. «Hadrian gilt als äußerst frommer und gelehrter Mann.»
«Wir müssen etwas tun! Wir Sachsen müssen zusammenhalten, unseren Widerstand anmelden und den Heiligen Vater auffordern, Puttoc seinen Segen zu geben.»
Eadulf verzog keine Miene. «Habt Ihr nicht erst vor kurzem zugegeben, daß Ihr Puttoc weder besonders achtet noch mögt? Anscheinend befürchtet Ihr, nicht zum Abt von Stanggrund ernannt zu werden, wenn Puttoc den Posten nicht bekommt. Wie auch immer, wir Sachsen können erst zusammenkommen, wenn der Mord an Wighard aufgeklärt ist.»
Sebbi wollte schon antworten, besann sich aber eines Besseren, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand in der Menge.
Eadulf wandte sich an Fidelma. «Habt Ihr alles verstanden?»
Fidelma nickte nachdenklich. «Sieht ganz so aus, als wären Puttocs und Sebbis ehrgeizige Pläne durchkreuzt worden.»
«Bruder Sebbi traue ich durchaus zu, daß er einen Mord begeht, bloß um …» Eadulf, der erst jetzt bemerkte, was er da sagte, hielt erschrocken inne.
«Im Augenblick dürfen wir keine mögliche Erklärung außer acht lassen», beruhigte ihn Fidelma. «Ich habe ja von Anfang an gesagt: Ehrgeiz kann ein mächtiger Antrieb sein.»
«Das stimmt. Aber ist Ehrgeiz denn etwas so Verwerfliches?»
«Ehrgeiz nährt sich aus Eitelkeit, und Eitelkeit macht viele Menschen blind für Moral. Sagte nicht Publilius Syrus, vor einem Mann, der seinem Ehrgeiz folgte, müsse man am meisten auf der Hut sein?»
«Nicht, wenn er über die Begabung verfügt, um seine Pläne auch in die Tat umzusetzen»,
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