Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
erwiderte Eadulf. «Von viel größerem Übel ist ein Mann, der zwar sehr ehrgeizig, aber im Grunde unfähig ist.»
Fidelma kicherte vergnügt. «Eines schönen Tages müssen wir einmal ganz ausführlich über Philosophie debattieren, Eadulf von Seaxmund’s Ham.»
«Vielleicht», antwortete Eadulf mit einem verlegenen Grinsen. «Allerdings hätte Puttoc im Augenblick eine solche Debatte am meisten nötig. Zum Thema Ehrgeiz könnte er durchaus ein paar Ratschläge gebrauchen.»
Gemeinsam gingen sie weiter zum domus hospitale.
Sie trafen Bruder Eanred, tief über einen Zuber gebeugt, im lavantur oder Waschhaus an. Als er sie kommen sah, zuckte er erschrocken zusammen, schrubbte aber gleich wieder auf dem dicken Wollgewand herum, das er mit Wasser und Seife bearbeitete.
«Nun, Bruder Eanred», begrüßte ihn Fidelma. «Wie ich sehe, seid Ihr sehr fleißig.»
In einer seltsamen Geste der Mutlosigkeit hob der Mönch beide Schultern. «Ich wasche die Kleider meines Herrn.»
«Die von Abt Puttoc?» warf Eadulf für den Fall ein, daß Eanreds Antwort Fidelma zu einem Vortrag darüber reizen könnte, daß Gläubige nur einen Herrn kennen sollten, nämlich ihren Herrn im Himmel.
Eanred nickte.
«Wie lange seid Ihr schon mit der Wäsche beschäftigt?» fragte Fidelma.
«Seit …» Eanred kniff die Augen zusammen, «seit dem Mittagsangelus, Schwester.»
«Und was habt Ihr davor getan?»
Eanred sah beunruhigt aus. Fidelma beschloß, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. «Wart Ihr auf dem christlichen Friedhof am Metronia-Tor?»
«Ja, Schwester.» Eanreds schlichte Antwort klang aufrichtig.
«Und was habt Ihr dort gemacht?»
«Ich habe Abt Puttoc zum Friedhof begleitet.»
«Und warum seid Ihr beide dort hingegangen?» fragte Fidelma geduldig weiter.
«Um Wighards Grab zu besuchen und Vorkehrungen für die Errichtung eines Grabsteins zu treffen, Schwester.»
Fidelma preßte nachdenklich die Lippen zusammen. Seine Erklärung klang einleuchtend. Zwischen Puttoc, Eanred und den Arabern, die am Friedhof mit Ronan Ragallach verabredet gewesen waren, bestand anscheinend keinerlei Verbindung.
Sie bemerkte, daß Eanred sie mit seinen blaßbraunen Augen neugierig musterte. In seinem Blick lag eine seltsame Leere, der starre Ausdruck eines Einfaltspinsels, der zu gewitzter Täuschung gar nicht fähig war. Und doch … Fidelma biß sich auf die Lippe. Es lag noch etwas anderes in diesem Blick. Besorgnis? Oder Beunruhigung?
Nicht ohne Mühe riß Fidelma sich von diesen Gedanken los. «Danke, Eanred. Beantwortet mir doch bitte noch eine andere Frage. Besitzt Ihr eine Tasche aus Sackleinen?»
«Nein, Schwester.» Der Mönch schüttelte den Kopf.
«Und habt Ihr, seitdem Ihr hier seid, eine Tasche aus Sackleinen benutzt?»
Eanred zuckte die Achseln und sah sie verständnislos an. Fidelma wurde klar, daß es sinnlos war, weiter nachzuhaken. Falls Eanred log, war er ein sehr guter Lügner.
Sie dankte ihm und verließ die lavantur , gefolgt von Eadulf und Licinius.
«Mit dieser Befragung habt Ihr wenig erreicht, Schwester», bemerkte der sächsische Mönch nicht ohne Mißbilligung. «Warum habt Ihr ihm die Tat nicht auf den Kopf zugesagt?»
Fidelma breitete die Arme aus. «Wenn man ein Bild malen will, Bruder Eadulf, muß man hier und dort ein wenig Farbe auftupfen. Der einzelne Pinselstrich bedeutet wenig. Erst wenn alle Striche getan sind, man einen Schritt zurücktritt und das Ganze betrachtet, zeichnen sich erste Umrisse ab, und man hat das Gefühl, tatsächlich etwas erreicht zu haben.»
Eadulf biß sich auf die Lippe. Er hatte das Gefühl, getadelt worden zu sein, ohne zu wissen, wofür. Fidelma besaß manchmal die ärgerliche Angewohnheit, in Rätseln zu sprechen. Eadulf seufzte. Wie alle ihre Landsleute liebte sie es, zu Symbolen, Anspielungen und Übertreibungen zu greifen.
In dem kleinen Innenhof angekommen, setzte sich Fidelma auf die kleine Steinbrüstung vor dem plätschernden Brunnen und hielt ihre schmale Hand in das kühle Wasser. Furius Licinius und Eadulf standen etwas verlegen daneben und warteten darauf, daß sie ihr Schweigen brach.
«Ah, Bruder Eadulf!»
Es war der herrische Tonfall Äbtissin Wulfruns, der plötzlich im Innenhof widerhallte. Im gleichen Moment erschien die hochgewachsene Äbtissin auch schon in der offenen Tür. Die Augen starr geradeaus gerichtet, rauschte sie auf sie zu wie ein Schiff unter vollen Segeln.
«Mylady», begrüßte sie Eadulf.
Ohne Fidelma und Furius Licinius
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