Ein Toter fuehrt Regie
verstohlenen Blick zu Zumpe hinüber. Natürlich mußte Kuhring so argumentieren, wenn er vermeiden wollte, daß man seine Führungsqualitäten in Zweifel zog.
Die Lux, offensichtlich bemüht, Donnersmarck zu gefallen und dadurch eines fernen Tages die Chance zu erhalten, in sein Vorzimmer überzusiedeln, gab Kuhring recht. «Für mich ist es ebenso unverständlich, warum sich Herr Ossianowski an uns rächen will: wir sind doch bestens miteinander ausgekommen, Herr Direktor. Er hat sich bei uns wohl gefühlt, das Büro war sein eigentliches Zuhause – in Kladow draußen hatte er ja niemanden.»
Nun vergaß auch Zumpe seine Gallenschmerzen. «Das stimmt, Herr Donnersmarck; wir alle hier haben uns nichts vorzuwerfen. Owi… äh, Ossianowski war voll integriert bei uns. Sicher, er hatte seine kleinen Eigenheiten, seine Schrullen – aber die haben wir doch schließlich alle, nicht wahr? Besser als bei uns hätte er’s doch nirgends haben können. Gerade in so einer kleinen Gruppe – da konnte man Rücksicht auf ihn nehmen. Im Februar haben wir ihn sogar als unseren Sprecher zur Tagung nach Bad Harzburg geschickt, Akademie für Führungskräfte… Ich versteh das alles nicht.»
Brockmüller blieb nichts weiter übrig, als nun auch etwas mehr oder minder Sinnvolles zum Thema zu sagen, denn Schweigen wurde in dieser Managerwelt zumindest als Dummheit ausgelegt, wenn es einem nicht gar den Verdacht der Obstruktion einbrachte. «Ich habe ja nur so nebenbei ein paar Semester Psychologie gehört, aber Herr Ossianowski war nicht nur ein ausgeprägter Misanthrop – er war schon ein ausgewachsener Psychopath! Sein Menschenhaß, verbunden mit seinen anarchistischen Gedanken – das ist brisant. Wir kriegen es nun zu spüren.»
Donnersmarck nickte und versprach, alles in seinen Kräften Stehende für ihre persönliche Sicherheit zu tun. Dann ließ er sich zur Vorstandssitzung zurückfahren, die er eben in aller Eile verlassen hatte.
Die Begegnung mit einem Aufsichtsrats- oder einem Vorstandsmitglied eines Konzerns ist für einen Untergebenen normalerweise ein ebenso elementares Ereignis wie für den ABC-Schützen das Hereinplatzen des Rektors in den Unterricht. Sogar in einer solchen Ausnahmesituation war dieser Effekt zu bemerken, und Brockmüller, Zumpe und die Lux – nicht ganz so Kuhring – standen beeindruckt und verwirrt herum, bis der schwarze Mercedes endgültig verschwunden war. Auch fehlten ihnen die passenden Worte, um den Auftritt ihres obersten Kriegsherrn angemessen zu kommentieren. Schnoddrigkeit war fehl am Platze, zunächst jedenfalls.
Schließlich meinte Kuhring: «Da kann man sagen, was man will: Ich find’s großartig, daß er sich gleich an Ort und Stelle informiert hat.»
«Ist schon ein bombiger Kerl», sagte Zumpe.
Kuhring funkelte ihn an. «Wie meinst du denn das?»
«Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich dir gegenüber noch sage, was ich meine!»
«Kannst du auch gar nicht – du hast ja noch nie ‘ne eigene Meinung gehabt.»
«Über dich schon.»
«Paß bloß auf!»
Brockmüller konnte dem erregten Dialog nicht länger folgen, denn zu seinem Entsetzen erkannte er am Rande der Menge Annelie. Mein Gott, und das im achten Monat! Wenn sie erfuhr, was… Eine Fehlgeburt!
Du wirst deinen Sohn nie zu sehen kriegen.
Diese verdammte Stimme wieder!
Dann war die Ahnung richtig, dann starb nicht er, sondern… Er stürzte zu ihr, wühlte sich durch die Menge.
Sie war in ihrem Zweitwagen gekommen, einem alten 500er Fiat, der nur noch von Rost zusammengehalten wurde. Sie parkte ihn immer, wenn sie kam, hinter der Villa, um dann mit Bus oder Taxi zum Zoo zu fahren und dort einzukaufen. Wie oft hatte er ihr in den letzten Tagen gesagt: Laß das, es ist zu gefährlich! Aber sie hörte ja nicht.
Wenn sie nun erfuhr, daß sein Leben bedroht war, und wohl ihres und das des Kindes auch… Der Schock, der Abort, der Tod des Kleinen! Ihm wurde schwarz vor Augen. Um alles in der Welt – sie durfte nichts erfahren!
Doch als er sie erreichte, da wußte sie’s schon. Einige der Passanten hatten inzwischen alles mitgekriegt.
«Mensch!» rief sie. «Endlich macht euch mal einer Feuer unterm Arsch!»
Brockmüller, der sie eben noch tröstend in die Arme nehmen wollte, prallte zurück. Einmal war er wütend, daß sie seine Angst so abtat, zum anderen haßte er den Slang. Neuköllner Hinterhof!
«Ich find’s nicht so lächerlich!» fuhr er sie an.
«Du lebst ja noch.»
«Mensch, das ist hier
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