Ein Toter fuehrt Regie
blutiger Ernst und kein Happening!» Er hatte einen Tränenstrom erwartet und daß sie hilflos schluchzend an seinem Halse hing.
«Meinst du, ich bin so verrückt und reg mich auf?»
«Wär dir wohl egal gewesen, wenn ich draufgegangen wäre?»
«Du spielst das alles auch noch hoch, du Idiot!» Sie wandte sich ab.
Brockmüller stand verdattert da.
«Ja, ja», sagte ein alter Mann neben ihm. «Schwangere Frauen!»
Sicherlich, irgendein Instinkt bewahrte sie davor, sich übermäßig zu erschrecken und das Ganze hochzuspielen, aber… Also, eine Frau, die ihren Mann liebt, die verhält sich nicht so! Ein wenig Mitgefühl, ein wenig Trost, ein paar Worte, daß man Angst gehabt hat, den anderen zu verlieren… Schön und gut: sie war schnoddrig und unterkühlt; sie haßte Phrasen, sie war links und emanzipiert und hart im Nehmen, aber dennoch…
Brockmüllers Lippen schmeckten nach Grünspan.
Er hätte sterben können. Er schwebte noch immer in Lebensgefahr. Und sie tat so, als hätte er sich bloß mal eben beim Rasieren geschnitten… Sie kam ihm nicht nur fremd vor – er fühlte plötzlich sogar eine heftige Abneigung gegen diese Frau, die seinen Namen trug und ein Kind von ihm erwartete.
Seine Stimmung erreichte ihren Tiefpunkt und seine Augen wurden feucht, als er sie mit Kuhring scherzen sah. Und Kuhring, der eben noch nahe daran gewesen war, Zumpe an die Gurgel zu springen – Kuhring lachte plötzlich.
Eifersucht schoß in ihm auf und ein ganz bestimmter Gedanke… Kuhring und Annelie kannten sich schon von der Werksschule her, wo Kuhring in nebenamtlicher Tätigkeit Buchführung und Warenkunde unterrichtet hatte. Später waren sie im Apparatewerk jahrelang im selben Büro beschäftigt gewesen – und er hatte sie bald zu seiner Gruppenleiterin gemacht. Und schließlich hatte er, Brockmüller, durch eben diesen Kontakt seine Stelle bei der Sondergruppe bekommen.
Die beiden unterhielten sich angeregt, und Annelie schien das Ganze für ‘ne riesige Cocktailparty im Freien zu halten. Mein Gott, war ihr denn nicht klar, was hier geschehen war? Eine Bombe war explodiert, in der Villa tickten womöglich weitere Zünder, Owi war tot, und er hatte allen Kollegen den Tod versprochen!
«Hallo, Doktor!»
Zumpe und die Lux kamen auf ihn zu; zwischen ihnen ging ein untersetzter Mann. Halbschwergewicht, der recht bärbeißig dreinblickte. Scharfgeschnittenes, nicht unsympathisches Gesicht, lässig gekleidet, ein bißchen verstört.
«Das ist Oberkommissar Mannhardt!» rief die Lux. «Er will uns sprechen.»
Auch das noch! Brockmüller wollte weg, sich irgendwo verstecken, seine Ruhe haben. Sollten die doch ihren Scheiß alleine machen!
Als er Mannhardt die Hand hinstreckte, wurde er von hinten angerempelt und gegen die Schulter des Kriminalbeamten geworfen. Er fuhr herum: ihr Briefträger. Ein junger Spund, rücksichtslos.
«Ich muß hier durch!»
«Das geht jetzt nicht», sagte Mannhardt. «Hier kann jede Sekunde was explodieren. Die Straße ist gesperrt.»
«Schön, geh ick eben ins Amt zurück.»
«Moment mal…» Mannhardt überlegte eine Sekunde. «Sagen Sie mal, haben Sie was für die Sondergruppe dabei?»
«Sondergruppe für Systemplanung», fügte die Lux hinzu.
«Ja, ick jloobe schon.» Der junge Mann nahm ein Briefbund aus seiner Karre und überflog die Anschriften. «Nee, hier nich… Aber da war doch wat…» Er suchte in einer anderen Tasche und förderte ein Päckchen zutage. «Hier…»
Mannhardt nahm das Päckchen in die Hand, und man sah ihm an, daß es schwerer war, als er vermutet hatte. Er drehte es herum und las laut: «Absender: Otto-Wilhelm Ossianowski…»
«Ein Sprengstoffpaket!» schrie Brockmüller.
5
Die große Halle im Krematorium Wilmersdorf war bis auf den letzten Platz gefüllt, einige der zu spät gekommenen Kollegen standen sogar hinten im Gang. Um den schlichten braunen Sarg häuften sich Berge von Kränzen und Sträußen, und auf den goldgefaßten Schleifen dominierte das Wörtchen unvergessen. In der ersten Reihe saßen, schwarzgekleidet und verweint, die engsten Angehörigen, während sich die ehemals hohen und höchsten Vorgesetzten des teuren Verblichenen bescheiden unter die gewöhnlichen Trauergäste gemischt hatten. Die mächtigen Kerzen auf den monströsen Kandelabern und Leuchtern flackerten wild, und auch der Redner vorn am Pult wußte nicht, woher es zog. Er hatte seine einleitenden Worte verhalten-gefaßt vom Blatt gelesen und ging nun daran,
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