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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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wobei ich dem Flic helfend
unter den Arm griff. Die frische Luft draußen würde ihm guttun. Doch vorher
mußten wir noch die steile Treppe hinaufsteigen. Eine Mordsarbeit! Endlich
hatten wir es geschafft. Der Rausschmeißer stand nicht mehr auf seinem Posten.
Ich lehnte Andréjol wie einen Besoffenen gegen die Wand und ging alleine zur
Garderobe, deren weibliches Personal gegen ein männliches ausgetauscht worden
war. Jedenfalls so ungefähr. Der lächelnde Jüngling von eben streckte eine Hand
aus, um die Garderobenscheine anzunehmen.
    „Ach!“ wunderte ich mich. „Sind Sie hier das
Mädchen für alles?“
    „Ja, Monsieur. Für alles.“
    „Sagen Sie bitte Monsieur Dumonteil, ich hätte
nicht länger warten können.“
    „Selbstverständlich.“
    Er händigte mir Hut und Mantel aus. Um beides in
Empfang zu nehmen, ließ ich meinen Rettungsanker in der Tasche los.
    In diesem Augenblick spürte ich jemanden in
meinem Rücken und gleichzeitig etwas vor meiner Brust. Man befreite mich von
meinem Revolver. Es ging alles so schnell, daß ich mich nicht dagegen wehren
konnte.
    „Es ist besser, Sie bewegen sich nicht“, flötete
die Tempeltänzerin. „Als Totengräber möchte ich nicht auch noch fungieren.“
    Ich folgte der Richtung seiner schönen Augen.
Dazu mußte ich nach unten auf mein Kinn sehen. Zwei Zentimeter von meiner
Gurgel entfernt blinkte das schärfste Rasiermesser, das ich jemals in meinem
Leben zu Gesicht gekriegt hatte.
    Und das war keine Halluzination.

10

Vollgedröhnt
     
     
    Der Jüngling und sein Freund, der Barbier,
zwangen mich, den immer mehr schwankenden Andréjol zu stützen. Der Flic
klammerte sich an mich wie ein Ertrinkender an ein Stück Treibgut. Ich kam kaum
vorwärts. Wenn ich insgeheim den Plan gehegt hätte, ihn den beiden Wüstensöhnen
zwischen die Beine zu werfen, um mich elegant aus der Affäre zu ziehen und zu
verduften — das richtige Wort am richtigen Platz! — , es wäre unmöglich
gewesen. Ich mußte mich mit meiner Last hinter die Garderobe schleppen und eine
zweite Treppe hinuntergehen. Als Antwort auf eine meiner hilflosen Bewegungen,
die er falsch interpretierte, warnte mich der Jüngling vor unbedachten
Handlungen. Die Wände seien dick genug, um den Schall eines Schusses zu
schlucken. Der Knall werde niemanden stören, außer natürlich den
Unvorsichtigen, der sich die Kugel fange.
    „Schon gut, Kleiner“, brummte ich. „Auch ich
kenne einen schalldichten Raum, in dem man alle möglichen Ideen in die Tat
umsetzen kann, auch in die geräuschvollste! Werd Dich demnächst mal dorthin
mitnehmen.“
    Er fauchte etwas in seiner Sprache, was sich
wirklich nicht wie eine Liebeserklärung anhörte.
    In dieser fröhlichen Stimmung gelangten wir auf
einen Korridor, der von einer imposanten Gestalt versperrt wurde. Ein
wohlgenährter, kräftiger Kerl, Typ Herkules-Eunuch, ein wahrhafter
Haremswächter. Ich hatte allerdings meine Zweifel, ob man uns die
entsprechenden Wonnen gewähren wollte. Der Herkules grinste, öffnete die Tür,
vor der er Wache stand, ließ uns eintreten, folgte uns und schloß leise die Tür
hinter unserer kleinen Karawane.
    Der Raum war groß und gemütlich wie das Büro
eines Geschäftsmannes. Jeglicher orientalischer Schnickschnack war — außer
schweren Vorhängen mit Arabesken — aus dem Zimmer verbannt worden. Es roch nach
Tabak, ein wenig nach Hammelfett und sehr intensiv nach Schweiß. Eine
Deckenlampe warf gedämpftes Licht auf die Anwesenden. Im ganzen waren wir zu acht,
unsere Eskorte, Andréjol und ich eingeschlossen.
    Ein Dickwanst in Hemdsärmeln und mit
unverkennbarem Galgenvogelgesicht, das von einem schwarzen Bart eingerahmt
wurde, ließ sein ranziges Fett in einem Sessel hinter einem
Minister-Schreibtisch schmoren. Er trug ein geblümtes Hemd am mächtigen Leib,
mindestens drei Kilo Ringe an den Wurstfingern und rauchte einen Tschibuk. Im
großen und ganzen machte er einen ebenso herzlichen, gastfreundlichen Eindruck
wie der Gefängnisdirektor der Santé. Die beiden würden eines Tages
Bekanntschaft miteinander machen, dessen war ich mir sicher. Bestimmt würden
sie sich sofort sympathisch finden.
    Mit schlaffem Gesichtsausdruck wie immer, ein
Auge halbgeschlossen — durch den harten Kontakt mit einer Türkante, einer
Schrankecke oder einer Expertenfaust-, saß Dumonteil auf einem Stuhl, so
aufrecht wie ein Scheuerlappen.
    Neben ihm stand Sidi-der-Beringte, der Freund
von Ali Ben Cheffour und mir beinahe schon so vertraut

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