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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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wie meine Familie.
    Der wohlbeleibte Boß — Araber, wenn ich mich
nicht täuschte — musterte mich mit großem Interesse, sah dann seine
Gefolgsleute an und sagte etwas in seiner Sprache. Ich hatte den Eindruck, daß
er nicht recht zufrieden mit ihnen war. Der Barbier steckte sein Rasiermesser
ein. Die Tempeltänzerin legte meinen Revolver wie ein Beweisstück vor den Herrn
und Meister auf den Tisch. Der prüfte die Waffe mit Kennerblick, um sie dann in
einer Schublade verschwinden zu lassen.
    „Den bekommen Sie später zurück“, sagte er zu
mir. „So ein empfindliches Spielzeug verlangt von seinem Besitzer die
vollkommene Kontrolle über seine Nerven. Im Augenblick scheinen Sie nervös zu
sein...“
    Als er — beinahe akzentfrei — französisch
sprach, klang seine Stimme zuckersüß und klebrig, so daß sich mir der Magen
herumdrehte.
    „Ich bin überhaupt nicht nervös!“ widersprach
ich.
    Er lächelte.
    „Doch, Sie sind nervös. Die jungen Leute dort
sind es ebenfalls. Deshalb hat ihr Verhalten es Ihnen gegenüber an Höflichkeit
fehlen lassen. Ich habe es ihnen soeben zu verstehen gegeben und sie gerügt.“
    „Sehr liebenswürdig von Ihnen“, lachte ich. „Der
Empfang könnte dazu beitragen, daß ich zu den radikalen Kolonialisten
überlaufe.“
    Er überhörte meinen Sarkasmus, zog an seiner
Pfeife und schickte eine dicke Rauchwolke zur Decke. Dann stieß er noch einige
gutturale Laute aus, und der Jüngling befreite mich von Andréjol, der jetzt
endgültig eingeschlafen war. Wie ein Wäschepaket hielt er ihn und wartete auf
weitere Anweisungen. Der Araber, den ich aus der Rue Chérubini kannte,
scheuchte Dumonteil von seinem Stuhl auf.
    „Hören Sie, verdammt?“ schrie Dumonteil. „Hören
Sie…“
    Er fing an zu heulen, mit tränenerstickter
Stimme und angsterfülltem Blick (aus dem Auge, das ihm noch zur vollen
Verfügung stand). Sein Schutzengel knallte ihm die beringte Hand auf die
Lippen, die stark zu bluten anfingen.
    „Verschwinden Sie!“ sagte der Boß zuckersüß.
„Sie stehen mir im Weg.“
    Für den Fall, daß ich schwer von Begriff war,
drückte mich der Rasierklingen-Held gegen die Wand, eine Hand in der Tasche,
bereit, mich jederzeit zu rasieren. Ohne Seife und Pinsel! Sein Chef rührte
sich nicht vom Fleck und zog an seinem Tschibuk. Er gab seinen Leuten ein
Zeichen, garniert mit ausgewählten Rachelauten. Der Jüngling und „mein“ Araber
gingen zur Tür. Der eine hatte Andréjol, der andere Dumonteil am Schlafittchen.
Der bärenhafte Haremswächter öffnete die Tür, worauf Dumonteil wieder voller
Verzweiflung zu heulen begann und sich gegen die liebevollen Schubser seines
persönlichen Begleitschutzes wehrte. Den darauffolgenden kleinen Tumult nutzte
ich aus, um mich davonzustehlen.
    Es ist die reine Verschwendung, wenn man soviel
Energie aufwendet, um so wenig weit zu kommen. Ich fing mir einen Schlag in den
Nacken und einen anderen unters Kinn, so als würde ein Sandwich zugeklappt.
Schmerzgeplagt ging ich zu Boden und spürte sofort ein Schwergewicht auf meiner
Brust. Das Deckenlicht drang durch meine halbgeschlossenen Lider und brannte
mir in den Augen.
    „ Naddin zob er mok “, spuckte der Kerl, der mir den Magen
zusammendrückte.
    Ich öffnete die Augen und sah wieder das
verdammte Rasiermesser, das ganz versessen auf meine Bartstoppeln war. Ich
hielt es für ratsam, mich nicht zu bewegen. Die gefährliche Klinge befand sich
in einem Abstand zu meiner Kehle, der leicht zu überwinden war. Der Koloß befreite
meine Brust von seiner Last und schob mir den Stuhl hin, den Dumonteil
freundlicherweise soeben freigemacht hatte. Der kräftige Stoß in meine Rippen
sollte wohl bedeuten: ,Steh auf und setz dich!’ Ich gehorchte. Doch, die
orientalische Höflichkeit ist wirklich ausgesprochen angenehm im Umgang
miteinander. Mit schwerem Kopf saß ich auf dem wackligen Stuhl, der bei jeder
Bewegung knarrte. Innerlich mußte ich lachen, als ich daran dachte, daß die
Kripo eine ganz ähnliche Sitzgelegenheit bereithält, um die Nerven der
Verdächtigen zu strapazieren.
    Jetzt waren wir nur noch zu viert in dem Raum:
Dickwanst, Barbier, Sidi-der-Beringte und ich. Ich rieb mir das Kinn und den
Nacken.
    „Geht’s besser?“ erkundigte sich Moktar mit
seiner Honigstimme. „Ich hatte Sie doch bereits auf Ihren nervösen Zustand
hingewiesen und...“
    „Schnauze!“ schnauzte ich und ließ etwa ein
Dutzend wüster Beschimpfungen folgen, die ich von einem befreundeten

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