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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Sünde, hüllen wir uns in den verderblichen Haschischrauch. Wir bremsen
unseren Höhenflug; Karl der Große und sein tapferer Recke Roland können das
Vordringen der Ungläubigen nicht verhindern. Die Soldaten des Halbmondes. Die
Soldaten des Halbmondes sind frei verkäuflich...
    Araber schleppen uns in ein feuchtkaltes
unterirdisches Labyrinth. Wir sind Gefangene und werden auf Kamelrücken
transportiert. Hallende Gänge mit kreideweißen, schwammigen Wänden. Unsere
Karawane ruft endlose Echos hervor, die bis zum Mittelpunkt der Erde dröhnen.
Wir sind tot.
    Buchenwald taucht auf, riesig und winzig
zugleich, nimmt die Dimensionen einer Kathedrale an, um sich im nächsten Augenblick
in ein glitzerndes Lichtermeer zu verwandeln, in dem man ertrinkt. Das ist
nicht Buchenwald, das ist Luna-Park. Alles, was er auf der öffentlichen
Mülldeponie einsammeln konnte, seine eigene Leiche eingeschlossen, hat Ali Ben
Cheffour hierhergebracht. Ekelhaft dreckige Betten stapeln sich im Hintergrund.
In einem Winkel liegen Tausende von Leichen übereinander. Es ist das Massengrab
von Luna-Park, das Ergebnis eines kolonialen Feldzuges: zweitausend
Araberleichen. Leute gehen hin und her, rufen sich etwas zu. Mit vorgehaltenen
Maschinenpistolen zwingen sie andere Männer, einen Graben auszuheben, um
kübelweise Kalk hineinzukippen. Ali Ben Cheffour stinkt wie alle hier, und alle
stinken wie Ali Ben Cheffour. Irgendwo läuten Totenglocken. Ich höre Schreie,
Heulen, knappe Befehle. Sidi-der-Beringte ruft mir lachend zu: „Was ist, mein
Freund, platzt du immer noch vor Neugier?“
    Unsere Karawane zieht weiter. Wir lassen sie
alleine: die dreitausend Toten mit ihrer ewigen Ruhe, die zweitausend
Totengräber mit ihrer Aufgabe, die tausend Aufseher mit ihren Maschinenpistolen.
Mein ganzer Körper tut mir weh, mir wird übel vor Schwindel. Ich schleppe mich
über einen holprigen Boden. Meine Nase berauscht sich an dem muffigen Gestank
von schmierigem Holz. Ich krieche. Ich bin eine Schlange. Ich rolle mich
zusammen. Ich schlängle mich über Dumonteils Körper. Dumonteil weint. Eben hat
er geschrien, und sein Papa hat ihn verhauen. Ich bin eine Boa constrictor. Ich
will Andréjol mit meinem Leib erdrücken. Ich lache. Ich biege mich vor Lachen.
Ich kringle mich wie ein Korkenzieher. Ge-nau-so! Andréjol ist kein Flic. Er
ist ein Einbrecher, der personifizierte Klimmzug. Riton-der-Spinner, den keiner
erwischt. Ich überrasche ihn, wie er vor einem Tresor kniet. Ich höre das
Zischen des Schneidbrenners. Jetzt weiß ich, warum Schlangen kriechen und nicht
fliegen wie alle Welt: Ihr schwerer, bleischwerer Kopf hindert sie daran, sich
anders als kriechend fortzubewegen. Warte doch, Andréjol, du falscher Polizist,
warte einen Moment! Ganz in seine Arbeit vertieft, hört er mich nicht. Er legt sich
mächtig ins Zeug. Ich beobachte ihn. Er macht aus dem Tresor einen eingebauten
Schrank, der leichter zu knacken ist. Den Schneidbrenner hat er im Mund, und da
drin zischt es. Wie es da drin zischt und spuckt! Ich weiß nicht mehr, wo ich
bin. Dumonteil ist verschwunden. Ich verfolge seine Kriechspur. Wenn es doch
wenigstens Kilometersteine gäbe, dann wüßte ich, welche Strecke ich
zurückgelegt habe... Jemand packt mich. Es ist Andréjol, der helle Kopf. Jetzt
ist er nur noch das: ein Kopf. Ein Kopf mit immer noch kräftigen Armen. Und
dieser Kopf ruft jemanden, den ich früher einmal gekannt haben muß: Burma,
Nestor Burma! Andréjol hat ein richtiges Galgenvogelgesicht. Er sieht
mitgenommen aus. Seine Unterlippe schiebt sich boshaft vor. Ein böser Mensch,
dieser komische Heilige! Bösartig wie ein Krebsgeschwür. Ich sage zu ihm: „Sie
irren sich, ich bin nicht der Mann, für den Sie mich halten. Boa, ja, Boa. Ich
bin eine Boa constrictor.“ Er stößt einen Fluch aus. Mein Schädel knallt auf
den Boden. Man schnallt mich an einen Flaschenzug und hopp!, aufgestanden! Ich
stehe. Ein Engel säuselt mir ins Ohr: „Sie sind keine Boa. Sie sind Burma. Sie
sind Nestor Burma.“ Ich denke zehn Jahre lang nach, und dann gestehe ich: „Ja,
ich bin Nestor Burma.“ - „Dann sehen Sie sich an, verdammt nochmal, was ich in
dem Schrank gefunden habe!“ Er zeigt mir zwei hübsche kleine Handgranaten. Wir
werden davon abbeißen. „Nieder mit dem Krieg!“ rufe ich lachend. Nach Holland
will ich. Ich schlage dem Flic mitten ins Gesicht. Das haut ihn nicht um. Er
redet. Ich verstehe nichts von dem, was er sagt, nur: „...zum Kaputtgehen...“
Alles

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