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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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unrealistische Tür, diese Tür, die ich ohne Mühe öffnen kann, diese
fügsame Tür. Die Bäume im Park wollen mir den Zutritt zu ihrem Gelände
verwehren. Sie stürzen sich auf mich, schlagen mich auf den Kopf, die
Schultern, die Arme, werfen mich zu Boden. Ich verliere meine Schlüssel, bücke
mich, um sie aufzuheben, richte mich wieder auf und gehe weiter. Und plötzlich,
vor mir, feindselig und giftiggrün im bleichen Mondlicht: Schloß Flauvigny. Es
gehört mir. Es streckt sich, reckt sich, wird kleiner oder größer, je nachdem,
ob ich mich im Zickzack nähere oder zurückweiche. Es spielt Verstecken mit mir,
aber ich werde gewinnen. Auf den Knien rutsche ich die Treppe zum Hauseingang
hoch, packe eine der Fackelträgerinnen am Fuß, ziehe mich langsam an ihrer Wade
und ihrem Oberschenkel hoch. Ich schlinge meine Arme um die Bronzefrau, betaste
ihre Brust, küsse ihren kalten Mund und befreie mich spuckend von der
metallenen Erinnerung. Schaudernd wende ich mich ihrer Freundin zu, bei der ich
mir mehr Glück erhoffe. Und wirklich, die andere ist weniger kalt. Aber sie hat
gefroren, denn sie ist angezogen. Unter einem Pelzcape trägt sie ein dünnes
Nachthemd, hübsch und verführerisch wie das Laken eines Gespenstes. Ihre
nackten Füße sehen nicht nach Bronze aus. Der Mond versilbert ihre blonden
Haare. Sie hält keine Lampe in der Hand. Und in meinen eher schwachen Armen
zittert sie. Sie redet, stößt mich zurück, wird wütend, fleht mich an. Sie legt
einen Finger auf ihre Lippen und ermahnt mich so, still zu sein. Ich lege meine
Lippen auf ihre Finger, dann auf ihren Mund. Ich trete einen Schritt zurück und
betrachte sie. Sie und ich, wir sind das letzte Paar auf der Welt. Ich weiß
nicht, ob sie wankt oder ob ich schwanke. Sie nimmt meine Hände, legt sie
zusammen und lädt mich mühsam auf ihren Rücken. Sie schleppt mich fort, meine
Füße schlurfen über den Boden. In meiner Hand fühle ich ihre warme Brust. Sie
atmet heftig. Ich habe ihre Haare im Mund, kann ihr aber trotzdem sagen, daß
sie schön ist und gut riecht.
    Und dann schlafe ich ein, mein Kinn auf der
duftenden Schulter von Joëlle Flauvigny.

12

Bittersüßes
Erwachen
     
     
    Nach der Behandlung mit einem Massagehandschuh
flog mein Magen an Bord eines Flugzeuges in Luftnot, die Hymne der Savoyen
dröhnte mir in den Ohren, die sieben Zwerge von Schneewittchen schmiedeten
sieben Stelzen in meinem Schädel, und aus meiner Palisanderzunge hätte ein
tüchtiger Tischler mühelos ein ganzes Eßzimmer herstellen können. Nur meine
Nase funktionierte tadellos. Sie nahm einen Duft wahr, den sie schon einmal
wahrgenommen hatte.
    Als es mir gelang, meine verklebten Augenlider
voneinander zu lösen, erblickten meine müden, schmerzenden Augen eine graue
Zimmerdecke. Draußen regnete es wohl. Ich beglückwünschte mich zu dem Wetter.
Meine Augen hätten pralles Sonnenlicht bestimmt nicht ertragen. Das graue
Tageslicht fiel durch ein Fenster, das sich hinter mir und dem Sofa, auf dem
ich lag, befand. Ich nahm meinen Kopf in beide Hände, was es mir ermöglichte,
mich aufzurichten.
    Eine Weile blieb ich so in der Haltung des
großen Denkers sitzen, obwohl mein Kopf, außer den sieben Zwergen, leer war.
Immer wenn ich die Lider bewegte, wanderten undurchsichtige Schleier über meine
Augäpfel. Schließlich erkannte ich meine Füße. Von jeglichen Schuhen befreit,
standen sie in löchrigen Strümpfen auf einem relativ luxuriösen Bettvorleger.
Ich tastete mich ab. Ich trug weder Lammfelljacke noch Jackett noch Krawatte,
nur ein zerknittertes, schmutziges Hemd und eine Hose, die wie eine
Ziehharmonika aussah. Fehlte nur noch die Reihe Perlmuttknöpfe, und ich hätte
anfangen können zu spielen. Ich drehte meinen gezerrten Hals auf meinen schmerzenden
Schultern und warf einen langsamen Panoramablick in die Runde. In der Schmiede
nahte der Feierabend. Besorgt, auch ja ihr tägliches Steak zu verdienen, hauten
die sieben Zwerge noch einmal kräftig drauf. Ich wartete auf die Schlußsirene.
    Ich befand mich in einem Zimmer, das ich trotz
ein paar Kleinigkeiten und der herrschenden Unordnung als das eines jungen
Mädchens identifizierte. Ich bin kein junges Mädchen, also war es auch nicht
mein Zimmer. Obwohl, man weiß ja nie... Ich hatte das Gefühl, so außergewöhnliche
Dinge erlebt zu haben... Ich sah mir das zerwühlte Bett an.
    Auf einem Stuhl, nicht weit von mir, saß jemand
und beobachtete meine Rückkehr ins Leben. Die sieben Zwerge hämmerten

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