Ein Toter hat kein Konto
friedliche Bürger in ihrer Ruhe aufschreckten. Nur
unseren Vogel, den schreckten wir nicht auf.
Es wurde dunkel, und wir gaben auf. Drei Häuser
waren noch zu besichtigen. Wir hoben sie uns für den nächsten Tag auf.
In dieser Nacht störte niemand meinen Schlaf,
und ich schlief wie ein Murmeltier. Als ich erwachte, stellte ich erstaunt
fest, daß niemand im Zimmer war, einen Revolver auf mich richtend oder eine Axt
über meinem Kopf schwingend. Wie man sich doch an alles gewöhnen kann! Und wenn
das Erwartete dann einmal nicht eintritt, vermißt man es und ist ganz verwirrt.
Unser erstes Ziel am nächsten Morgen war ein
ziemlich baufälliges Haus in der Rue Rollin. Der Concierge stellten wir uns als
Architekten der Stadtverwaltung vor, die damit beauftragt waren, die
Dachgeschosse zu inspizieren.
Auf dem Flur oben unterm Dach lag alles Mögliche
herum. Sandsäcke aus dem Krieg, Zigarettenkippen aus neuerer Zeit und
Katzenscheiße aus allen möglichen Epochen. Drei Türen gingen von diesem
dunklen, widerlich stinkenden Flur ab. Die erste ließ sich zwar quietschend,
aber widerstandslos öffnen. In dem winzigen Zimmerchen befanden sich ein
Klappbett (zugeklappt) und verschiedene Küchengeräte (außer Gebrauch). Alles
war vollkommen verwahrlost. Die zweite Tür war verschlossen. Wir klopften, doch
niemand öffnete. Bei der dritten und letzten Tür war es dasselbe. Doch nachdem
ich durchs Schlüsselloch gelinst hatte, brach ich das Schloß auf.
Vom Fenster dieser Mansarde aus hatte man einen
ausgezeichneten Blick auf Roland Flauvignys ehemalige Bleibe. Um dem jungen
Studenten nicht ins sterbende Auge sehen zu müssen, hatte Dumonteil sich mit
seiner Gasmaske ans Fenster gestellt und hinausgeschaut. Klar, solch eine Maske
hatte Ritons Aufmerksamkeit erweckt. In Zukunft würde allerdings nichts mehr
ihn und seine Aufmerksamkeit erwecken.
Er hätte auf Gigis Ratschlag, vorsichtiger zu
sein, hören sollen. Jetzt lag er da, nackt, halb auf dem Bett, halb auf dem
staubigen Boden, und badete in seinem eigenen Blut. Sein Kopf war durch einen
professionell ausgeführten Schnitt mit einem Rasiermesser beinahe vom Rumpf
abgetrennt worden.
22
Das Pappelhaus
Mein alter Freund Marc Covet, der trinkfreudige
Journalist, empfing mich in seinem Büro, begeistert und reserviert zugleich.
Rar hätte ich mich in letzter Zeit gemacht, warf
«er mir vor. Ob ich den Artikel über meine Balgerei mit Belkacem gelesen hätte?
Warum er die Meldung nicht aus erster Hanid erhalten habe? Er habe versucht,
mich telefonisch zu erreichen. Ohne Erfolg. Ob ich mit einem neuen Fall
beschäftigt sei? Falle eventuell für ihn dabei etwas ab?
„Wollen Sie einen Artikel über Riton-den-Spinmer
schreiben?“ fragte ich ihn.
„Das überlasse ich lieber den Anfängern“,
antwortete er verächtlich. „Wenn Sie meine Meinung hören wrollen: Ich habe nie
so recht an ihn geglaubt. Überhaupt hat er langsam ausgedient.“
„Mehr als Sie meinen!“ lachte ich. „So sehr, daß
eir auseinanderzufallen droht, reif fürs Leichenschauhaus.“
„Was?“ schrie Covet, jetzt plötzlich hellwach.
Ich erzählte ihm, was dem Gangster passiert war,
wahrscheinlich weil er sich zu kräftig rasiert habe.
„Deibler hätte es nicht besser machen können.
Nfehmen Sie einen Fotografen mit und sehen Sie zu, wie Sie ihn rein zufällig
entdecken. Und vor allem: Lassen Sie mich aus dem Spiel!“ Die Mittagsausgabe
des Crépu war ihre Schlagzeile wert. „Herrlich!“ jubilierte Covet, ein
Exemplar in seinen frisch-verklecksten Tintenfingern. „Das ist eine Sensatiom!“
Auf dem Bürgersteig sieben Etagen tiefer schrien
sich die Zeitungsjungen die Kehlen heiser, ein Paket der Sonderausgabe unterm
Arm:
„ Crépu! Extrablatt! Riton-der-Spinner aufgetauccht!“
... Unser Redakteur Marc Covet und sein
Fotograf Jean Rongeul, die gerade eine Serie über die „Dächer von Paris“
vorbereiten (eine Überraschung für unsere Leser!) haben in einer Mansarde...
Ich suchte vergeblich nach einem Detail.
„Ems habe ich Ihnen noch gar nicht erzählt“,
sagte ich zu meinem Freund. „Aber im Moment noch: Mund halten! Riton besaß
nämlich Informationen, die er der Polizei verkaufen wollte. Na ja, kaputt ist
kaputt! Ich weiß nur, daß es um ein Riesending geht, mehr nicht. In seinem Loch
konnte ich nichts finden, was auf Einzelheiten hindeutete. Klar, die Mörder
haben Hausputz gehalten. Aber davon abgesehen...“ Ich wies auf die Zeitung.
„Der
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