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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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„Verschwinden Sie! Ich hab genug! Ich will sterben!
Ich hasse euch alle: Roland, Paul, meinen Vater und Sie mit Ihren gemeinen
Fragen.“
    „Regen Sie sich nicht auf“, sagte ich sanft.
„Warum haben Sie denn nicht versucht, Ihr eigenes Leben zu leben, weit weg von
diesen Leuten? Waren Sie zu schwach dazu?“
    „Ich habe weder einen Beruf noch Geld. Dafür hat
Flauvigny gesorgt. Und mein... mein wirklicher Vater war zu arm. Außerdem
glaube ich, daß er mich auch nicht sehr geliebt hat. Ich habe mir immer nur
eins gewünscht: von ihm geliebt zu werden und ihn zu lieben und... und...“
    Sie warf sich zurück und rief herausfordernd:
    „Ich war’s, die ihn getötet hat!“
    „Wen? Henry IV., Carnot oder Doumer? Erzählen
Sie mir, wie Sie’s gemacht haben. Das wird Sie erleichtern, und dann können Sie
beruhigter sterben.“
    Sie redete wie im Traum. Es war ein
unzusammenhängender Bericht voller Widersprüche, aus dem etwa folgendes
herauskam:
    Vorgestern abend kam sie zusammen mit Dumonteil,
der sich ganz merkwürdig benahm, nach Hause. Auf der Straße vor der kleinen Tür
parkte der Wagen von Dr. Péricat. Der Arzt saß am Steuer. Er sagte zu seiner
Tochter, daß er mit ihr sprechen wolle und daß ihn die Gegenwart ihres
Liebhabers nicht störe, da der sicherlich mit ihr unter einer Decke stecke.
Während Joëlle ihr Kabriolett in die Garage stellte, betraten die beiden Männer
durch die kleine Tür das Gelände von La Feuilleraie (diesen Eingang
benutzte Dumonteil gewöhnlich), und kurz darauf trafen sich alle drei in ihrem,
Joëlles, Zimmer. Péricat eröffnete sofort das Feuer, leise, aber heftig;
beschuldigte seine Tochter, ein verdammtes Weibsstück zu sein, ganz wie die
Mutter. Verrückt sei sie und bösartig und für Rolands Tod verantwortlich, weil
sie das gesamte Erbe kassieren wolle. Der Privatdetektiv, der mit dem Fall
betraut sei — ebenfalls ihre Schuld! — spiele eine sehr dubiose Rolle, stoße
dunkle Drohungen aus, und Gérard Flauvigny wolle das Gesetz selbst in die Hand
nehmen. Wohin solle das Ganze noch führen? Sie mit ihren Machenschaften habe
eine ganze Kette von Ereignissen ausgelöst... Die Diskussion verschärfte sich,
Péricat griff Dumonteil an, der wiederum bedrohte den Arzt, und der holte
schließlich einen dicken Revolver heraus. Allgemeines Handgemenge, an dem sich
auch Joëlle beteiligte...
    „Ich wollte ihm nur den Revolver abnehmen“,
flüsterte das Mädchen. „Es hat gar keinen richtigen Knall gegeben... Ich
wunderte mich nur darüber, daß mein Vater zusammenbrach... Paul sagte mir, ich
hätte abgedrückt und...“
    „Das hat er Ihnen gesagt, der falsche Hund? Sie
können sicher sein, daß er selbst geschossen hat! Vielleicht, ohne es wirklich
zu wollen. Vorgestern war nicht sein Glückstag. Aber er hat sie natürlich
lieber davon überzeugt, daß Sie die Tat begangen hätten... Und dann“, fuhr ich
fort, „hat er die Leiche weggeschafft und Sie mit Ihren Ängsten
alleingelassen... und mit dem Blutfleck, den Sie auswaschen mußten. Sie haben
sich ausgezogen und ins Bett gelegt, weil Sie glaubten, Sie könnten schlafen.
Konnten Sie aber nicht. Also, wieder raus aus dem Bett und hin und her
gegangen, hinter dem Fenster gestanden und auf was weiß ich gewartet. Plötzlich
tauche ich im Park auf, Sie bringen mich in Ihr Zimmer und versuchen, mich auf
Ihre Seite zu ziehen, sozusagen als Schutz gegen böse Mächte, die Sie
entfesselt zu haben glauben.“
    Sie schien nicht erstaunt über das, was ich
alles so wußte. Mit einer erschöpften Geste bestätigte sie das, was ich gesagt
hatte.
    „Aber Roland habe ich nicht getötet!“ rief sie
plötzlich 206 schluchzend. „Ich habe ihn nicht geliebt, aber ich habe ihn nicht
getötet.“
    „Sie haben weder ihn noch Ihren Vater getötet...
Ihren richtigen Vater meine ich jetzt. Sie haben sich nur von Dumonteil in eine
dreckige, dumme Geschichte hineinziehen lassen. Sie haben nichts mehr zu
befürchten, von niemandem“, beruhigte ich sie.
    Ich fragte sie ein wenig über Dumonteils
Gaunereien aus. Auch hier war Joëlle der Spielball für den sauberen Fotografen
gewesen. Sicher, das Mädchen war alles andere als ein Engel und wollte sich an
Roland und an dem Alten rächen, indem sie letzteren über den Lebenswandel ihres
Bruders informierte. Die schrecklichen Folgen aber hatte sie nicht
vorausgesehen. Auf Dumonteils Rat hin hatte sie vorgeschlagen, Mercadier zu
engagieren. Damit dieser „verständnisvolle“ Kollege den Fall

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