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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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seiner Zunge festgesteckt und nur einen Stoß gebraucht, um sich zu lösen. Herr Direktor, begann er noch einmal.
    Der Direktor blieb stehen und drehte sich zu uns um. Ich stand unterdessen auf und sagte: Entschuldigen Sie mich, und huschte zwischen den beiden durch in die Küche, als wollte ich mir einen Kaffee machen. So sollte es zumindest aussehen. Aber der Direktor, der schien entweder vergessen zu haben, dass ich auch noch da war, oder es war ihm herzlich egal. Wahrscheinlich war es ihm egal. Ich hätte mich mit einer Cola und einem Eimer Popcorn in einen der Sessel setzen können, das hätte auch keinen Unterschied gemacht.
    Herr Direktor, sagte Samuel noch einmal, und Travis antwortete: Mr. Szajkowski. Was ist?
    Könnte ich wohl kurz mit Ihnen reden? Nur für einen Augenblick?
    Mit mir reden?, fragte Travis mit einem Blick auf die Uhr. Dann sah er kurz zur Tür.
    Es ist bloß, ich habe da ein Problem. Ich hatte gehofft … Ich dachte, vielleicht … Ich hatte gehofft, Sie könnten mir helfen.
    Travis seufzte. Von da, wo ich stand, konnte ich es zwar nicht sehen, aber ich konnte mir genau vorstellen, wie er die Augen verdreht. Ein Problem, wiederholte er. Aber natürlich haben Sie ein Problem. Ich hätte kaum etwas anderes erwartet.
    Samuel zögerte, und für einen Moment schwieg er.
    Nun, Mr. Szajkowski? Bitte spannen Sie mich nicht auf die Folter.
    Ich … Ich habe da ein wenig Ärger. Mit den Kindern.
    Der Direktor seufzte noch einmal. Ärger, sagte er. Was denn für Ärger, Mr. Szajkowski? Mit welchen Kindern?
    Und Samuel, das Rindvieh, der dachte, er nennt besser keine Namen. Es ist nicht so wichtig, wer, sagte er, ich erwarte nicht …
    Wenn es nicht wichtig ist, Mr. Szajkowski, warum fühlen Sie sich dann gezwungen, mich darauf aufmerksam zu machen? Ich habe viel zu tun, wie Sie sich vorstellen können.
    Und für einen Moment wusste Samuel nicht, was er sagen sollte. Er sah mich an, über die Schulter des Direktors hinweg. Ich nickte ihm zu, und dann noch einmal.
    Sie haben ihren Darm in meine Aktentasche entleert, sagte er.
    Und das von Samuel! Er rückte einfach damit heraus, einfach so.
    Was haben sie?
    Ihren Darm entleert. In meine Aktentasche.
    Wer hat sich in Ihre Tasche entleert?
    Ich habe niemanden gesehen. Aber ich habe es gefunden. Das heißt, ich habe es sogar noch.
    Sie haben es aufbewahrt?
    Nein, nein, nein. Ich habe es nicht aufbewahrt. Christina Hobbs, sie hat es genommen. Sie hat es in Zeitungspapier gewickelt.
    Mr. Szajkowski. Der Direktor kniff sich jetzt in den Nasenrücken. Mr. Szajkowski. Vielleicht wären Sie so freundlich, mit Ihrer Geschichte dort zu beginnen, wo man üblicherweise beginnt.
    Das brachte Samuel vollends aus dem Konzept.
    Von vorn. Fangen Sie bitte ganz von vorn an, wenn Sie so freundlich wären.
    Das tat Samuel dann auch. Er erzählte Travis von dem Husten und den Beleidigungen und dass sich seine Klasse bei Anwesenheit bestimmter Schüler praktisch nicht mehr unterrichten ließe, was eigentlich auf ein Drittel unserer Klassen zutrifft. Er erzählte Travis, dass man ihm ein Bein gestellt, ihn herumgeschubst, beschimpft, verfolgt und bespuckt hatte. Er erzählte Travis, dass sein Fahrrad mutwillig beschädigt worden war, dass sie den Sattel gestohlen und die Reifen aufgestochen hatten. Er erzählte ihm von den Graffiti, die er gesehen hatte, von den Zetteln in seinem Fach und den SMS , die er bekommen hatte. Und er erzählte noch einmal, was die Schüler ihm in die Aktentasche gelegt hatten. Und dann ließ er sich in einen Sessel fallen, als wäre er körperlich erschöpft, und der Direktor stand immer noch da und sah auf ihn hinab.
    Wie alt sind Sie, Mr. Szajkowski?
    Samuel sah hoch. Siebenundzwanzig, sagte er. Ich bin erst letzte Woche siebenundzwanzig geworden.
    Na dann, meinen Glückwunsch. Haben Sie gefeiert? Gab es einen Kuchen?
    Verzeihen Sie, ich bin nicht sicher, ob ich …
    Schon gut. Sie sind also siebenundzwanzig. Ein schönes Alter. Zwar noch kein reifes Alter, aber Sie sind erwachsen. Das sind Sie doch, Mr. Szajkowski?
    Ja. Doch, das bin ich.
    Das freut mich zu hören. Und Ihre Peiniger. Wie alt sind die?
    Es sind größtenteils Elftklässler. Zehntklässler.
    Also fünfzehn. Sechzehn vielleicht. Vielleicht auch vierzehn.
    Das stimmt. Ja. Ich würde sagen, das stimmt.
    Fällt Ihnen da nicht irgendwo eine Diskrepanz auf, Mr. Szajkowski? Merken Sie nicht, dass da etwas nicht stimmt?
    Samuel nickte. Ja, Herr Direktor, das merke ich, sagte er.

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