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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Mörder. Er hat drei Kinder erschossen und eine Lehrerin, eine unschuldige Frau. Und der tut mir leid. Dieser durchgeknallte Psycho. Ich tue ja gerade so, als müsste man Mitleid mit ihm haben.
    Wie bitte?
    Na ja, so richtig überrascht mich das nicht. Hätte er nicht getan, was er getan hat, hätte er es vielleicht sogar verdient. Das Mitgefühl. Dass er den Leuten leidtat, mit denen Sie gesprochen haben. Aber jetzt nicht mehr.
    Terence hat es allen erzählt. Den Lehrern, okay, aber die Lehrer hätten es sowieso erfahren. Terence hat die Geschichte brühwarm den Schülern erzählt. Er versteht sich ziemlich gut mit einigen, zu gut, wenn Sie mich fragen. Er will einer von ihnen sein, wissen Sie, ein Kumpel, aber dazu ist er ja schließlich nicht hier, oder? Er brauchte einen Augenblick oder zwei, um zu verstehen, was los ist, weil wir alle gleichzeitig losgeredet haben. Aber dann fand er es einfach nur noch lustig. Man hätte meinen können, er ärgert sich, dass er nicht selbst darauf gekommen ist. Er hat es also all seinen kleinen Kumpels erzählt, und seine Kumpels erzählten es weiter, und innerhalb von sechs oder sieben Minuten wusste es die ganze Schule. Für Donovan hätte es nicht besser laufen können. Ich meine, niemand konnte beweisen, dass es Donovan war, aber natürlich war er’s. Vielleicht hat Gideon die Sache ausgeführt, aber die Idee war ganz eindeutig auf Donovans Mist gewachsen.
    Nach diesem Vorfall habe ich Samuel mal beiseite genommen. Alle wussten, dass ihm die Kids das Leben schwermachten, aber irgendwo muss doch mal Schluss sein, oder? Ich könnte Ihnen zwar nicht sagen, wo genau, ich könnte nicht mit dem Finger darauf zeigen und sagen, da, genau da ist die Grenze. Aber jemandem in die Aktentasche zu scheißen. So was muss man sich nicht bieten lassen. Die Grenze, na ja. Vielleicht ist die auch nur der Horizont.
    Geh zum Direktor, hab ich gesagt. Erzähl ihm, was vorgefallen ist.
    Samuel schüttelte den Kopf. Das hab ich versucht, sagte er. Das hab ich schon versucht. Dann wollte er an mir vorbeigehen, aber ich hielt ihn am Arm fest.
    Wann?, fragte ich. Was hast du ihm erzählt?
    Von Samuel kam nur so eine Art Schulterzucken. Nicht viel, antwortete er. Nichts Bestimmtes. Ich habe ihm gesagt, dass ich
     es schwer finde. Mehr als ein Mal.
    Und?
    Weiter sind wir nicht gekommen.
    Aber was hat der Direktor denn gesagt? Er muss doch irgendwas gesagt haben.
    Er hat gesagt, es sei nun mal schwer. Der Lehrerberuf sei kein Zuckerlecken, meinte er.
    Samuel, antwortete ich, das lasse ich nicht gelten. Du musst ihm von … von dem hier erzählen. Du musst ihm alles erzählen. Dann wird er was unternehmen. Er muss irgendwas unternehmen. Dann wollte ich einen Witz machen. Ich sagte: Jetzt kannst du es wenigstens beweisen, nicht wahr? Beweisstück Nummer zwei, Euer Ehren.
    Samuel sah aus, als würde er darüber nachdenken. Natürlich lachte er nicht, aber er schien darüber nachzudenken. Ich dachte also, vielleicht geht er wirklich zum Direktor und redet mit ihm, aber am Ende tat er es doch nicht. Am Ende musste ich ihn dazu zwingen.
    Wir waren im Lehrerzimmer. Es war irgendwann nach der Mittagspause. Ich weiß nicht mehr genau, wann. Im November vielleicht? Im Dezember? Samuel, George und ich waren da, aber George ging nach einer Weile, und ich blieb mit Samuel allein. Und wir waren gerade mit uns selbst beschäftigt, haben beide irgendwas gelesen, als der Direktor den Kopf zur Tür reinsteckte.
    Janet?, fragte er und kam einen Schritt herein. Er sah mich an. Haben Sie Janet gesehen?
    Nein, leider nicht, sagte ich, und er warf mir einen bösen Blick zu, als wäre er überzeugt, dass ich sie doch gesehen habe und es ihm nur nicht sage, um ihn zu ärgern. Er ging noch einen Schritt vor und spähte um die Ecke in die Küche. Er kehrte uns nur eine Sekunde oder zwei den Rücken zu, aber ich brauchte gar nicht nachzudenken. Ich stieß Samuel an. Los, Samuel, mach schon, zischte ich ihm zu und stieß ihn noch mal an.
    Samuel stand auf. Er sah mich an, und er rang mit sich, das merkte ich, aber ihm lief die Zeit davon, weil der Direktor in der Küche fertig war und sich umdrehte, Richtung Tür ging und praktisch schon wieder draußen war.
    Ich machte ihm ein Zeichen, aber Samuel schüttelte den Kopf. Ich räusperte mich, als wollte ich etwas sagen, und keine Ahnung, ob ihn das Geräusch aufrüttelte oder was, aber plötzlich sagte er: Herr Direktor. Als hätten diese beiden Wörter zwischen seinen Zähnen und

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