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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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gelaufen. Die anderen schrien auf, jammerten, fluchten, Samuel, mein Gott dieses, verdammte Scheiße jenes. Aber ich hatte gesehen, was er gesehen hat, und dann kullerte die Wurst vor meinen Augen auf den Boden, unter den Tisch, und ich sah in Samuels Gesicht und dann wieder auf dieses Ding, ich konnte nicht anders. Die anderen sahen es noch nicht, aber sie rochen es. Vicky, Vicky Long, sie unterrichtet Schauspiel, die war die Erste. Sie hob das Kinn, blähte die Nasenflügel auf und sah sich um. Sehr theatralisch, das Ganze. Dann fing sie an zu schnüffeln – schnüff, schnüff, schnüff. Dann fingen auch die anderen an. Mit Schnüffeln. Alle. Schnüff, schnüff, schnüff. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mir schon das Hemd über die Nase gezogen, so dass sie jetzt nicht nur alle schnüffelten, sondern auch noch mich anguckten. Und ich sagte: Guckt nicht so, ich hab nichts damit zu tun, und in dem Moment hob Samuel sie auf.
    Er hätte ja einen Pappteller oder irgendwas benutzen können. Sie in eine Zeitung wickeln. Ich meine, genau vor ihm lag die
Sun,
und zu mehr ist die ja auch nicht zu gebrauchen. Aber Samuel fand das aus irgendeinem Grund nicht nötig. Er hat einfach unter den Tisch gegriffen und sie aufgehoben, als hätte er einen Stift fallen lassen, als würde er einfach nur seinen Kuli aufheben. Er hielt sie hoch. Jetzt konnten alle sie sehen. Alle sahen sie, aber das erklärte ja noch nichts. Sie sahen nur Samuel Szajkowski, diesen komischen kleinen Kerl mit seinem Fusselbärtchen, wie er im Lehrerzimmer stand und eine mehrere Tage alte Kackwurst hochhielt.
    Sie war in seiner Tasche, sagte ich. Er hat sie in seiner Tasche gefunden.
    Weil ich nämlich nicht weiß, was die anderen sonst gemacht hätten. Die Hälfte wäre vielleicht schreiend rausgerannt. Aber Samuel merkte das gar nicht, der starrte nur auf dieses Ding in seiner Hand. Keine Ahnung, warum, aber aus irgendeinem Grund dachte ich, er lässt es gleich auf mich fallen. Wirft es mir zu, damit ich es fange. Keine Ahnung, warum. Er hat und hätte es nicht getan, aber wenn jemand mit einer riesigen Kackwurst in der Hand vor einem steht, geht man ja lieber auf Nummer sicher, richtig?
    Wir sahen ihn an, der Rest von uns. Oder zumindest Vicky, Chrissie Hobbs und ich. Matilda und George drehten sich weg. Sie
     wollten es nicht sehen. Der Rest von uns auch nicht, aber wie gesagt, man musste da einfach hingucken.
    Chrissie hat als Erste reagiert. Warte, sagte sie. Ich hol dir was.
    Und Vicky sagte: Fass das nicht an, Samuel, lass es fallen.
    Die war in seiner Tasche, sagte ich noch mal. Irgendjemand hat sie ihm in die Tasche getan.
    Und Samuel, der sagte kein Wort.
    Fast hätte er noch mal Glück gehabt. Es waren nur nette Leute da, freundliche Leute. Ich würde sie nicht als Samuels Freunde bezeichnen. Samuel hatte keine richtigen Freunde, außer vielleicht Maggie, auch wenn Maggie ja wirklich eine schöne Freundin war, wie sich hinterher herausgestellt hat. Sie waren zwar nicht seine Freunde, aber sie hätten ihm geholfen. Alles sauber zu machen. Seine Tasche auszuräumen. Sie hätten ihm geholfen.
    Fast hätte er noch mal Glück gehabt, aber dann kam Terence rein.
    Ich nenne ihn Terence. Ich weigere mich, TJ zu sagen. Wenn ich mit ihm rede, nenne ich ihn TJ , damit ich meine Ruhe habe. Er legt Wert darauf, also lasse ich ihm halt seinen albernen Spitznamen. Wahrscheinlich wäre er nicht mehr so erpicht darauf, wenn er wüsste, was er für einige von den Schülern bedeutet. Titten-Jones, sagen sie immer. Ich höre sie, aber ich stell mich taub. Der TeJakulator. Deshalb nennen sie ihn TJ . Und er denkt, sie mögen ihn alle. Er denkt auch, ich würde ihn mögen. Dabei kann ich ihn nicht ausstehen, aber was soll man machen? Er ist mein Kollege. Ich muss mit ihm zurechtkommen. Es wäre sonst unangenehm für die anderen.
    Sie haben Terence kennengelernt, richtig? Sie können sich also ungefähr vorstellen, wie er reagiert. Als Terence reinkam, stand Samuel immer noch am selben Fleck und hielt dieses Ding in der Hand. Chrissie war in der Küchenecke, in einer Hand eine Plastiktüte und in der anderen die Spülschüssel, und wusste nicht so recht, was davon sie ihm geben soll. Ich stand mittlerweile bei den anderen, auf der gegenüberliegenden Seite vom Tisch. Wir drehten uns alle zu Terence um, und er sah unsere Gesichter, und dann guckten wir wieder Samuel an.
    Der arme Kerl.
    Armer Kerl: Was rede ich da? Ein Mörder ist er. Das vergesse ich immer. Er war ein

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