Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
Vom Netzwerk:
Verantwortung.«
    »Für wen halten Sie sich eigentlich, Lucia? Wer zum Teufel gibt Ihnen das Recht zu entscheiden, wer hier die Verantwortung trägt?«
    »Es ist meine Aufgabe. Oder etwa nicht? Ich dachte, es wäre meine Aufgabe.«
    »Ihre Aufgabe ist es, die Scherben aufzusammeln und wegzuräumen. Nicht, sie im ganzen Raum herumzuschmeißen, bloß weil Ihre Hormone verrücktspielen und Sie jemanden brauchen, an dem Sie Ihre Wut auslassen können.«
    Lucia verschränkte die Arme. Dann stützte sie die Hände in die Hüften. Sie funkelte Cole an, und Cole funkelte zurück.
    »Also?«, fragte er.
    »Also was?«
    »Schreiben Sie den Bericht jetzt neu? Tun Sie diesem Department, mir und sich selbst einen Gefallen?«
    »Nein«, antwortete Lucia. »Ich schreibe ihn nicht neu.«
    Cole sah auf die Mappe im Papierkorb und schüttelte den Kopf. »Dann frage ich Sie noch einmal, Lucia. Nur noch ein einziges Mal.«
    »Die Antwort lautet nein«, erwiderte Lucia. »Sir.«
    »Wären Sie dann bitte so nett, die Tür aufzumachen?«
    »Ich soll gehen?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Sie sollen die Tür aufmachen.«
    Lucia ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Sie sah Cole an.
    »Machen Sie sie auf.«
    Sie tat es.
    »Walter!«, rief Cole. »Sind Sie da? Walter!«
    Der Türrahmen verdeckte Lucia nur halb. Draußen im Büro drehten sich alle zu ihr um. Walter lehnte in seinem Sessel, einen Fuß auf dem Schreibtisch. Als er den Chief Inspector hörte, setzte er sich schwerfällig auf. Dann entdeckte er Lucia. Er grinste.
    »Walter! Kommen Sie mal zu mir. Bewegen Sie Ihren speckigen Hintern hier rein. Walter! Kommt er?«
    Lucia nickte. Sie sah Walter durchs Büro kommen. Im Vorbeigehen zwinkerte er ihr zu. Als er mit dem Ellbogen ihren Busen streifte, wich sie zurück. Lucia schloss die Tür, lehnte sich dagegen und schlang die Arme um die Brust.
    »Was gibt’s, Chief?«
    »Was steht auf der Agenda? Was liegt bei Ihnen an?«
    »Nicht viel. Harry und ich, wir wollten gleich …«
    »Lassen Sie es. Was auch immer Sie vorhatten, vergessen Sie es.«
    »Null Problemo. Was gibt’s?« Walter steckte sein Hemd wieder in die Hose, das hier und da heraushing. Lucia betrachtete seinen Rücken, sah, wie er mit der Hand unter den Hosenbund fuhr und wie seine Hose hochrutschte und den Blick auf seine ungleichen Socken freigab. Sie sah weg und suchte den Blick des Chief Inspector, doch der ließ sie abblitzen. Sie schaute auf einen Fleck auf dem Teppich, einige Zentimeter vor ihren Füßen.
    »Unsere liebe Lucia hat mich vor ein Problem gestellt. Das ganze Department, um genau zu sein.«
    »Ach ja?«
    »Und ich brauche jemanden, der dieses Problem löst. Sie sollen es lösen.« Cole trat gegen den Papierkorb, und er kippte um. Lucias Bericht verteilte sich auf dem Boden. »Hier«, sagte er. »Heben Sie ihn auf. Heben Sie ihn auf, lesen Sie ihn, und schreiben Sie ihn neu. Falls Sie nicht von selbst darauf kommen, was verändert werden muss, können Sie sich ja von Lucia ein paar Tipps geben lassen.«
    Walter bückte sich und scharrte die Blätter zusammen. Bevor er aufstand, warf er Lucia einen kurzen Blick zu und bleckte die Zähne, und sein Blick wanderte über die nackte Haut unterhalb ihrer Knie. Lucia wandte den Kopf ab.
    »Null Problemo«, sagte Walter noch einmal. »Wie viel Zeit habe ich?«
    »Bis eins brauche ich ihn zurück. Und Walter, versuchen Sie nicht, mich zu beeindrucken. Nichts Ausgefallenes, haben Sie mich verstanden? Sie wissen schon so ungefähr, was ich brauche.«
    »Aye aye, Chef.«
    »Und Sie«, der Chief Inspector sah Lucia an, »Sie nehmen sich den Tag frei. Oder meinetwegen auch die ganze Woche, wenn Sie wollen. Sie haben es vermasselt. Und jetzt machen Sie bloß, dass Sie hier rauskommen, alle beide.«
     
    Sie ging zur Schule. Sie wusste keinen Ort, an dem sie sein wollte, also fuhr sie dorthin. Sie wusste, dass heute der Gedenkgottesdienst stattfinden sollte. Um zehn Uhr würde er beginnen, hatte Travis gesagt. Also vor einer Viertelstunde.
    Der Parkplatz war voll und der Schulhof auch, und die einzige freie Lücke am Straßenrand war zu klein für ihren Wagen. Schließlich parkte sie zwei Straßen weiter. Die Klimaanlage in ihrem Golf war defekt, und als sie auf den Gehweg trat, klebte ihr die Bluse am Rücken. Langsam ging sie zur Schule. Am Tor strich sie ihre Kleidung glatt, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und blies sich Luft in die Stirn. Dann folgte sie den Schildern, die vom Haupteingang weg und

Weitere Kostenlose Bücher