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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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größer als sie. Es hat geregnet, aber sie wollte unbedingt ein Eis. Das war im letzten Sommer. Da hat es von Mai bis September geregnet, wissen Sie noch? Nicht wie in diesem Jahr.
    Es klingt vielleicht lächerlich, aber wissen Sie, was meiner Meinung nach helfen würde? Regen. Ich glaube, etwas Regen würde helfen. Wie in Büchern oder in Filmen, da regnet es ja immer, wenn jemand unglücklich ist. Oder ein Gewitter zieht auf, kurz bevor irgendwas Schreckliches passiert. Gibt es dafür nicht auch einen Ausdruck? Wenn das Wetter so eingesetzt wird? Ich glaube, wenn es regnen würde und windig wäre, wenn der Himmel ein bisschen Gefühl zeigen würde, das würde uns helfen. Mir und Susan. Im Moment sieht es nämlich so aus, als wäre es der Welt völlig egal. Sie hat kein bisschen Mitleid. Die Sonne scheint gnadenlos. Sie ist grell und grausam. Und dann diese erbarmungslose Hitze. Man sitzt da, denkt an das, was geschehen ist, und versucht, irgendeinen Sinn darin zu erkennen, aber man kann sich nur auf die Hitze konzentrieren und darauf, wie sehr man schwitzt. Regen würde helfen, glaube ich. Das wäre wie Tränen.
    Ich weiß, das ist blöd. Irrational. Sei vernünftig, sage ich mir immer wieder. Das Wetter ist keine Sache, es lebt nicht, es ist nicht gegen uns. Man hat eben nur den Eindruck. Ja, den hat man wirklich.
    Sie haben sicher viel zu tun. Ich rede wie ein Wasserfall, tut mir leid.
    Ich weiß das zu schätzen. Wirklich. Alle waren sehr liebenswürdig. Aber Susan, der fällt es schwer. Sie spricht mit niemandem. Sie haben ja gesehen, wie sie ist. So ist sie zu allen. Zu Freunden, zur Familie. Vor den Presseleuten haben wir gerade wieder unsere Ruhe. Na ja, wir haben sie jedenfalls nicht mehr im Vorgarten. Sie sind immer noch da draußen.
    Ja, genau. Dann haben Sie sie also gesehen. Manchmal steht da auch ein Wohnwagen. Er wird anscheinend angefordert, sobald sich irgendwo eine neue Story auftut. Und wenn sie ihn dort nicht mehr brauchen, kommt er zurück. Susan war noch nicht vor der Tür. Sie geht nicht raus. Sie zieht noch nicht mal die Vorhänge im Schlafzimmer zurück. Da ist sie die meiste Zeit, im Schlafzimmer. Oder in Sarahs Zimmer. Manchmal sitzt sie in Sarahs Zimmer.
    Deshalb rede ich mit den Leuten. Kümmere mich um alles, wissen Sie. Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde. Mir ist es lieber, ich habe zu tun. Und alle waren sehr liebenswürdig.
    Die Trauerfeier findet dieses Wochenende statt. Es war schwierig, weil sie sich fast überschnitten hätte mit den anderen. Es wollten so viele Leute an allen Trauerfeiern teilnehmen. Viele von den Kindern, aber auch die Lehrer. Es war zwar mit einigem organisatorischen Aufwand verbunden, aber jetzt finden alle zu unterschiedlichen Zeiten statt. Sarah ist die Erste. Es heißt Islington Crematorium, aber es liegt eigentlich in Finchley. Felix, der Junge, der gestorben ist, dessen Trauerfeier findet auch dort statt. Und der andere Junge, Donovan heißt er, glaube ich, der wird beerdigt, soweit ich weiß. Irgendwo im Süden. Was mit der Lehrerin ist, weiß ich nicht. Veronica, oder? Ich weiß nicht, was mit ihr ist.
    Glauben Sie an Gott, Detective? Nein, tut mir leid, antworten Sie nicht. Ich frage bloß, weil ich mich selbst noch nicht entschieden habe. Ich bin siebenundvierzig und habe mich noch nicht entschieden. Wissen Sie, wir mussten uns nämlich entscheiden, wegen der Trauerfeier. Darauf war ich nicht vorbereitet. Man hatte mir gerade meine Tochter genommen. Sie war elf Jahre alt, und jetzt ist sie nicht mehr da. Und ich versuche, alles für ihre Beisetzung zu regeln, und dieser Mann, der Bestattungsmensch, also, er war sehr freundlich, ich meine, er kann ja nichts dafür, aber er fragte mich: Gibt es irgendwelche kulturellen oder religiösen Besonderheiten, die wir berücksichtigen sollten? Was ja ungefähr dasselbe ist, als würde er mich fragen, ob ich an Gott glaube. Ihre Tochter wurde gerade ermordet; glauben Sie an Gott? Vielleicht ist es auch nicht dasselbe, aber es kam mir so vor. Ich konnte nicht sofort antworten. Ich bin Agnostiker – ist das das richtige Wort? Ich sage immer das eine, wenn ich eigentlich das andere meine. Susan wurde katholisch erzogen, aber wir sind mit Sarah nicht zur Kirche gegangen, weil Susan wollte, dass Sarah sich frei entscheiden kann. Ich konnte ihm also keine Antwort geben und sagte, ich müsse das erst mit meiner Frau besprechen.
    Es wird keine religiöse Ansprache geben. Das haben wir entschieden. Gott wird

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