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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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seitlich am Gebäude entlang zum Sportplatz führten.
    Ein Mann mit Sonnenbrille und Glatze hielt sie an und fragte, wer sie sei. Sie fragte ihn dasselbe.
    »Security, Madam.«
    »Wessen Security denn?«
    Der Mann sah über die Schulter zur Bühne. Dort auf der Rednertribüne saßen der Direktor, Christina Hobbs und ein dicker, bärtiger Mann, der kleiner aussah als im Fernsehen.
    »Er hat ja volles Programm heute.«
    »Verzeihung, Madam?«
    Nachdem Lucia ihren Dienstausweis vorgezeigt hatte, ließ er sie passieren.
    Sie stellte sich unter einen Baum. Ein anderer glatzköpfiger Hüne beobachtete sie eine Weile, dann senkte er den Kopf und legte den Finger an seinen Ohrknopf. Lucia verschränkte die Hände vor dem Körper.
    Travis hielt eine Rede. Er dankte allen für ihr Kommen, seinem Ehrengast, den Familien derer, die Szajkowski getötet hatte, und sogar den Journalisten, die man in einen gesonderten Bereich gepfercht hatte, getrennt vom eigentlichen Publikum. Lucia stand dahinter, linker Hand der Sitzreihen. Die erste Reihe konnte sie nicht sehen, aber aus der Blickrichtung des Direktors schloss sie, wer dort sitzen musste: Sarahs Eltern, Felix’ Eltern, der Mann von Veronica Staples und ihre Kinder. Donovans Eltern? Das bezweifelte Lucia.
    Jetzt betete Travis. Lucia hatte den Blick durch das Publikum schweifen lassen, durch die Reihen von Kindern, Müttern und Vätern. Sie hatte ihn nicht anfangen hören, und ihr war nicht aufgefallen, dass sich die Köpfe vor ihr gesenkt hatten. Auch sie senkte den Kopf, ohne jedoch die Augen zu schließen. Sie blendete die Worte aus. Es war nicht das Gebet, das sie nicht hören wollte, eher die Stimme, die es sprach.
    Als das Gebet zu Ende war, klatschte jemand. Andere fielen ein, aber nicht viele. Der Applaus versiegte beschämt, und die Menge begann sich zu zerstreuen.
    Lucia blieb noch. Die Kinder verließen schnell den Sportplatz, während sich die Erwachsenen nur langsam bewegten, als könnte jeder Anschein von Eile als Pietätlosigkeit gewertet werden. Es dauerte eine Weile, bis sich der Platz leerte. Motoren starteten, die geflüsterten Gespräche wurden allmählich lauter, und im Schulgebäude hinter Lucia lärmten die Kinder, vom Zwang der Etikette befreit. Als sie sicher war, dass niemand in der Nähe war, der sie erkennen könnte, trat sie unter dem Baum hervor.
    Irgendetwas fühlte sich seltsam an, doch im ersten Moment konnte sie nicht ausmachen, was. Der Schatten: Vorher war er nur dort gewesen, wo sie stand, jetzt überall. Der Boden hatte durchgehend ein und denselben Ton, und der Himmel war nicht mehr blau. Sie sah Wolken, richtige Wolken – farblos, aber nicht formlos wie der Dunst, der sich am späten Nachmittag über die Stadt legte. Die Sonne war verschwunden, nicht nur verhüllt wie eine Lampe, über die man ein Tuch gehängt hatte – nein, sie war weg. Kein Stück des Himmels war heller als ein anderes.
    »Vielleicht gibt’s bald Gewitter.« Es war der bullige Glatzkopf, der erste. Er stand neben ihr und sah in den Himmel. Er trug immer noch seine Sonnenbrille.
    Lucia sah ebenfalls hoch. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht«, erwiderte sie. »Noch nicht.«

N ein, nein. Das verstehe ich. Es ist ja Ihr Job, Detective. Sie machen nur Ihren Job.
    Tut mir leid wegen meiner Frau.
    Ja, ich weiß, aber trotzdem. Das bringt keinen weiter. Ich glaube, sie vergisst, dass nicht nur sie leidet. Sie vergisst, dass ich Sarah genauso geliebt habe. Ich bin ihr Vater. Egal, was auf Sarahs Geburtsurkunde steht, ich bin ihr Vater und werde es immer sein.
    Sechs Jahre. Susan – Sarahs Mutter – und ich sind seit sechs Jahren ein Paar.
    Ihn hat Sarah nie kennengelernt. Er hat sich aus dem Staub gemacht, ist nach Übersee gegangen. Da war sie erst ein oder zwei Monate alt. Nicht Manns genug zum Windelnwechseln, sagt Susan immer, aber auch unabhängig davon hätte sie nicht länger mit ihm zusammenbleiben können. Nein, es ist nicht, wie Sie jetzt denken. Es war ein Fehler, das ist alles. Die Beziehung, dass Susan schwanger wurde – das war ein Fehler. Der beste Fehler ihres Lebens, wie sich herausgestellt hat.
    Mensch, sehen Sie mich an. Ich bin ja schlimmer als Susan. Lieber Himmel. Ja, entschuldigen Sie, danke. Ich habe keins. Ich
     sollte mir immer eins einstecken, nicht wahr?
    Ich habe ein Foto. Hier. Das ist sie. Das haben wir in Littlehampton gemacht. Da hinten ist der Strand, man erkennt ihn gerade noch so. Und dieses Eis, schauen Sie. Es ist

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