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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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kann.«
    »Walter. Hey, Walter!«
    Walter drehte sich um, Lucia ebenfalls. Die Stimme klang wie Harry, aber Lucia sah nur Walter, Beton und ihren Wagen.
    »Alles klar? Hast du irgendwas verloren?«
    »Ich hab Lucia bloß geholfen, ihre Schlüssel zu suchen. Sie hatte sie fallen lassen.« Er streckte die Hand aus, aber Lucia schlug sie weg. Sie hielt sich an ihrem Wagen fest und stand auf.
    »Lucia, bist du das?« Harry war jetzt näher gekommen, er stand nur ein paar Wagen weiter. Ohne ihn anzusehen, nickte Lucia. Sie streckte die Hand mit den Schlüsseln aus. Ich hab sie, wollte sie sagen, aber sie brachte kein Wort heraus.
    »Okay, ich mach mich vom Acker. Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Und was ich dir gezeigt habe.« Walter trat hinter dem Wagen hervor. Im Vorbeigehen nickte er Harry zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Na dann, gute Nacht, Ladys.«
    Lucia fummelte am Türgriff herum. Sie wollte den Schlüssel ins Schloss stoßen, traf aber nicht und hinterließ einen Kratzer auf dem Lack. Sie versuchte es noch einmal. Harry kam näher.
    »Lucia? Alles in Ordnung?«
    Lucia sah ihn immer noch nicht an. Sie hob abwehrend die Hand, hustete. »Alles bestens, Harry.« Sie konnte gerade so flüstern.
    »Ganz sicher? Ich meine, du klingst nicht gerade …«
    »Alles in Ordnung.« Endlich fand sie das Schlüsselloch und zog die Tür auf. »Gute Nacht, Harry.«
    Sie ließ sich in den Wagen sinken.
    Sie wollte einfach nur dasitzen, aber sie erlaubte es sich nicht, startete den Motor und schnallte sich an. Sie weinte nicht.
    Sie legte den Rückwärtsgang ein und löste die Handbremse, dann drehte sie sich um und setzte den Wagen vorsichtig zurück. Sie weinte nicht.
    Harry trat beiseite, um sie vorbeizulassen. Er hob die Hand, aber Lucia blickte starr geradeaus. Sie fuhr an den Streifenwagen vorbei, bremste an der Ausfahrtschranke und fuhr hinaus auf die Straße. Sie weinte nicht.
    Fünfzig Meter weiter hielt sie am Straßenrand und stellte den Motor ab. Sie schloss die Augen, umklammerte das Lenkrad und ließ den Kopf darauf sinken. Sie hustete, schluckte. Sie weinte nicht, nein, sie würde nicht weinen.
    Und trotzdem kamen die Tränen. Sie konnte nicht anders und weinte. Und weinte.

W orum geht es denn bei solchen Sachen immer, Detective? Samuel war doch Geschichtslehrer, werfen wir also mal einen Blick in die Vergangenheit. Was war denn in der Geschichte der Menschheit die häufigste Motivation für wahnsinnige, schlimme oder verzweifelte Taten? Was hat die Menschen mehr als alles andere dazu gebracht, zu stehlen, lügen und betrügen? Den Kopf zu verlieren? Andere umzubringen?
    Die Liebe, Detective. Immer wieder die Liebe. Die Liebe zu Gott, zum Geld, zur Macht, die Liebe zu einer Frau. Manchmal auch zu einem Mann, aber Sie und ich, wir sind Frauen, wir wissen beide, dass die Geschichte von Männern geschrieben wurde, also ist es immer die Liebe zu einer Frau. Natürlich auch der Hass, aber Hass ist nur die Kehrseite der Liebe. Hass ist das, was entsteht, wenn die Liebe verdirbt. Hass kommt mit dem Verrat.
    Dass ich ihn gut kannte, wäre übertrieben, aber ich merke, wenn was im Busch ist. Und ich kenne Maggie. Sie ist eine meiner besten Freundinnen, in der Schule und auch sonst. Und deshalb kann ich das, was ich jetzt sage, auch ohne Gehässigkeit sagen. Dazu sind Freunde ja schließlich da, nicht wahr? Um einen zu loben, wenn man es verdient, aber auch, um Klartext zu reden, wenn nicht. Um einen zu unterstützen, zu einem zu stehen, aber nicht, um zu lügen und einem zu sagen, man wäre im Recht, wenn man im Unrecht ist.
    Und Maggie war im Unrecht. Was sie tut, was sie getan hat: Das war falsch. Sie hätte es ihm sagen sollen. Wenn Sie mich fragen, hätte sie es natürlich gar nicht erst tun sollen, aber wenn schon, dann hätte sie es ihm wenigstens sagen müssen. Sie hätte nicht warten dürfen, bis er es selbst herausfindet. Und schon gar nicht so, und nicht zu diesem Zeitpunkt. Aber das war wohl Teil des Plans. Also, ich will nicht sagen, dass sie einen Plan hatte, nicht direkt, sie hat sich selber ja genauso etwas vorgemacht wie Samuel. Aber trotzdem steckte hinter alldem ein Plan. Ganz tief im Inneren wusste sie, was sie wollte. Verstehen Sie?
    Nein, verstehen Sie nicht. Sie kommen nicht mehr mit. Bis wohin sind Sie denn mitgekommen?
    Nein, nein, nein. Danach. Nachdem sie sich getrennt haben.
    Wissen Sie das etwa nicht? Sie haben nichts davon gehört? Sie hat es Ihnen nicht erzählt? Das glaub ich

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