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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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du etwa mich, Süße?«
    Er stand hinter ihr. Er war direkt an ihrer Schulter, und sie hatte es nicht bemerkt.
    »Das hättest du wohl gern«, sagte sie, und dann – sie hasste sich schon dafür, bevor sie es überhaupt ausgesprochen hatte: »Walter, warte mal kurz. Was ist denn jetzt? Weißt du, was aus dem Fall wird?« Sie hatte ernst und professionell klingen wollen, aber ihre Stimme war schwach und kläglich. Sie hörte es, und Walter hörte es auch. Sein Grinsen entfaltete sich schrittweise: Zuerst hob sich der linke Mundwinkel, dann der rechte und dann die Oberlippe. Seine Lippen teilten sich, und die Zunge stieß hindurch. Zuckend rollte sie hoch und strich über die gelblichen Zähne.
    »Schon gut«, sagte Lucia. »Schon gut, vergiss es.«
    Sie wollte sich mit ihrem Stuhl wegdrehen, aber Walter hielt ihn fest.
    »Lulu, Lulu. Du brauchst dich doch nicht zu schämen. Ich erzähl dir alles, was du willst.«
    »Ich sagte, vergiss es, Walter. Vergiss, dass ich es je erwähnt habe.«
    »Ich erzähl dir alles, was du willst«, wiederholte Walter, »aber zuerst musst du mir eine Frage beantworten.«
    Er hatte ihren Stuhl losgelassen. Sie hätte sich wegdrehen können, tat es aber nicht. Stattdessen verschränkte sie die Arme und hob die Brauen.
    »Erzähl mir doch mal, was du an Bärten findest«, sagte Walter.
    »Wovon redest du?«
    »Bärte. Was ist daran so toll? Es ist die Art, wie sie kitzeln, hab ich recht? Du magst es, wie sie kitzeln. Da unten.«
    »Ich hab keine Zeit für so was, Walter.«
    »Ich kann mir nämlich einen wachsen lassen, wenn du das gern hättest. Wenn dich das antörnen würde.«
    Lucia verdrehte die Augen und schwang mit ihrem Stuhl herum. Sie klickte sich zum Posteingang. Er war leer. Sie wählte einen Ordner aus, öffnete wahllos irgendeine Mail und las sie.
    »Das ist das Einzige, was mir einfällt.« Er sprach jetzt in den Raum. Lucia schloss die E-Mail und öffnete eine andere. Ohne auf den Absender zu achten, klickte sie auf Antworten und begann zu tippen. »Der Bart, meine ich. Ich wüsste nämlich nicht, warum du sonst so verschossen in diesen Szajkowski sein solltest.«
    »Ich bin nicht in ihn verschossen, Walter. Erzähl nicht so einen Stuss.« Sie redete mit ihrem Bildschirm.
    »Was ist es dann, Lulu? Wenn du nicht auf ihn stehst, warum legst du dich dann so ins Zeug? Warum verteidigst du ihn auf Teufel komm raus? Und hackst stattdessen auf der Schule herum?« Erneut packte er ihren Stuhl und zwang sie, sich umzudrehen. »Komm schon, gib’s doch zu. Es ist der Bart, stimmt’s? Charlie. Hey, Charlie, altes Haus! Hast du ein Glück. Unsere kleine Lulu steht auf Gesichtsschamhaare.«
    Charlie grinste. Er leckte einen Finger an und strich sich seinen Schnauzbart damit glatt.
    »Walter. Ich hab zu tun. Lass meinen Stuhl los.«
    »Du siehst aber gar nicht so aus, Lulu. Schon den ganzen Tag nicht.« Er packte noch fester zu und beugte sich dicht zu ihr. »Ich habe gesehen, wie du mich beobachtet hast. Diesen gierigen Blick.«
    »Walter, lass jetzt endlich los.« Lucia versuchte, ihren Stuhl loszureißen, und im selben Moment ließ Walter los. Der Stuhl schnellte herum, und sie stieß mit dem Knie gegen ihren Schreibtisch. Fast hätte sie aufgeschrien vor Schmerz, aber sie biss sich auf die Lippe.
    »Walter. Kommen Sie mal zu mir rein.« Es war Cole, er stand in seiner Bürotür und sah ihnen zu.
    Walter streckte einen Finger aus. »Würdest du mich erschießen, Lulu? Bloß, weil wir hier ein bisschen herumalbern? Würdest du mich erschießen und sagen, es geschieht mir recht? Weil ich dich provoziert habe?«
    Lucia hielt sich das Knie. Sie antwortete nicht.
    »Es ist doch dasselbe, oder? Antworte mir, Lulu. Würdest du mich erschießen?«
    Sie biss die Zähne zusammen und stand auf. »Nein, Walter, ich würde dich nicht erschießen. Das hieße ja zugeben, dass ich mich von dir belästigt fühle.« Sie ging an Walter vorbei und stieß mit der Schulter gegen seine. »Und außerdem …«, sie drehte sich um, »… würde es mit einer Kugel viel zu schnell gehen. Du würdest ja gar nichts davon haben. Nein, Walter. Ich würde etwas Stumpfes nehmen.«
     
    Der Parkplatz befand sich unterhalb des Gebäudes, nicht direkt unterirdisch, aber überdacht und von dicken Betonsäulen gesäumt. Es war schummrig. Die Sonne war zwar noch nicht untergegangen, aber sie zog den Tag auf ihrem Weg zum Horizont bereits mit sich in die Tiefe. Lucia sah in ihre Tasche, suchte nach ihrem Schlüsselbund. Dann

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