Ein toter Lehrer / Roman
einfach nicht. Obwohl, doch. Natürlich glaube ich das.
Ich fange nicht am Anfang an, den kennen Sie ja offensichtlich schon. Ich fange mit dem Ende an.
Sie haben sich getrennt. Samuel und Maggie. Das wissen Sie. Das hat sie Ihnen erzählt. Es lag schon eine Weile in der Luft, dass das nicht mehr lange geht. Vielleicht hat sie Ihnen das auch erzählt. Samuel hatte Probleme, wissen Sie. Daran gab es nichts zu rütteln, aber es war ja schon lange vorher klar, dass er nicht zurechtkam, bevor das alles passiert ist. Was übrigens der Grund war, warum Maggie sich zu ihm hingezogen fühlte. Sie ist halt mehr so der mütterliche Typ. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt schon mal mit einem Mann zusammen war, den sie nicht bemuttern konnte. Ihre Freunde sind immer Kinder. Keine richtigen natürlich, aber geistig gesehen. Sie brauchen Schutz. Man muss sich um sie kümmern. Was zeigt, dass Maggie ein sehr fürsorglicher Mensch ist. Deshalb ist sie auch als Freundin so großzügig. Das ist eindeutig eine ihrer Stärken, aber auch eine ihrer Schwächen.
Samuel konnte sich jedenfalls nicht eingewöhnen, er hat keinerlei Kontakte geknüpft und bekam seine Schüler nicht in den Griff. Über sein Privatleben weiß ich nicht viel, aber ich glaube, das liegt auch daran, dass da nie viel war. Ich hatte den Eindruck, sein Privatleben, das war Maggie. Sie wurde zu seinem Privatleben. Bevor Maggie ihn fragte, ob er mit ihr ausgehen wolle, hatte sie Angst, er würde nein sagen. Quatsch, hab ich zu ihr gesagt. Sei doch nicht albern. Er steht total auf dich, hab ich gesagt, das sieht doch ein Blinder. Er hat sie immer beobachtet. Ich habe gesehen, wie er sie beobachtet hat. Also, mir wäre das irgendwie unheimlich gewesen. Vielleicht auch nicht. Vielleicht sage ich das nur wegen dem, was er getan hat. Na ja, es war jedenfalls unvorstellbar, dass er ihr einen Korb gibt. Außer vielleicht aus Schüchternheit oder Angst, aus Angst, mit einer Frau zusammen zu sein. Und irgendwann kam mir der Gedanke, dass er vielleicht doch nein sagen könnte, genau aus diesem Grund, aber da war es schon zu spät, Maggie was zu sagen, und außerdem hat er es ja nicht.
Das wissen Sie ja alles. Sie hat ihn gefragt, ob er mit ihr ausgeht, und er hat ja gesagt. Sie waren dann eine Weile zusammen, ein paar Monate, aber Samuel hatte ein Problem, und Maggie konnte ihm nicht helfen, das war’s so im Groben. Sie hat es versucht, und während dieser ganzen Zeit wurde sie immer … immer … wie soll ich das sagen? Ich bin mir nicht sicher, ob sie in ihn verliebt war. Ich hoffe für sie, dass nicht. Aber sie mochte ihn. Mehr als das, sie gewann ihn zunehmend lieb. Sie gewann ihn lieb wie …, ich weiß nicht, wie ein Hundebesitzer seinen Hund. Nein, das ist gemein. Was für ein schrecklicher Vergleich. Sagen wir, wie eine Krankenschwester. Wie eine Krankenschwester, die ihren Patienten liebgewinnt, wie in
Der englische Patient,
wissen Sie, in dem Film. Jedenfalls, selbst nachdem sie sich getrennt hatten, konnte Maggie ihn nicht loslassen, das will ich damit sagen. Emotional loslassen, meine ich. Sie war immerhin so klug gewesen, Schluss zu machen, weil es zu nichts führte, weil es sie in den Wahnsinn trieb und, wie ich zu ihr gesagt habe, weil sie ihr Leben vergeudete. Sie hat mit ihm Schluss gemacht, aber einen richtigen Schlussstrich hat sie nicht gezogen.
Das war … oje, wann war das noch? Im Februar. Vielleicht auch im März. Ende Februar. Aber das war eigentlich erst der Anfang. Der Anfang einer ganz anderen Phase.
Sie haben sich getrennt, und Samuel hat nichts gesagt. Das hat mir Maggie erzählt. Er hat im wortwörtlichen Sinne nichts gesagt. Okay, also, das kam vielleicht nicht ganz überraschend, aber man erwartet ja doch ein paar Worte. Wenn schon keine bedauernden, dann vielleicht wütende oder traurige, vielleicht auch verzweifelte. Aber Samuel, der hat sich eingerollt. Wissen Sie, wie eine Spinne, die die Beine um den Körper schlingt, wenn sie sich bedroht fühlt. Genau so.
Und Maggie war überzeugt, dass er sich so verhielt, weil ihm nichts an ihr lag, weil ihm noch nie etwas an ihr gelegen hatte, dabei war natürlich das Gegenteil der Fall. Samuel war einfach weiter Samuel, kühl, reserviert, einsam, aber sein Verhalten war so haargenau dasselbe wie am Anfang, dass er ihr ganz offensichtlich etwas vorspielte. Für mich war das jedenfalls sonnenklar. Aber Maggie sah es nicht. Und es verletzte sie. Wissen Sie, dass der Mensch zu siebzig Prozent aus
Weitere Kostenlose Bücher