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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Wasser besteht? Sechzig oder siebzig Prozent. So um den Dreh. Maggie besteht zu siebzig Prozent aus Gefühlen. Sie nimmt sich alles sofort zu Herzen – sie kann sich keine Nachrichten ansehen, hat sie mir mal erzählt, weil das für sie noch schlimmer ist als
Casablanca
 –, und mit derselben Bereitwilligkeit verletzt sie andere. Nachdem Schluss war, hat Samuel sie also behandelt wie jede andere Kollegin, als wäre sie Matilda oder Veronica oder ich, das heißt, er behandelte sie im Grunde wie Luft. Und Maggie konnte das nicht ertragen, also, sie verbarg es zwar vor ihm, alles in allem sogar ziemlich gut, aber sie zweifelte an sich, an ihrem Selbstwert, ihrem Aussehen, am Klang ihrer Stimme und an ihren Hüften, auf ihre Hüften hatte sie sich richtig eingeschossen. Wir führen immer unsere Frauengespräche, wenn Sie verstehen. Meist während der Mittagspause, wenn keine von uns Aufsicht hat. Und ein paar Wochen lang ging es um nichts anderes als um sie und Samuel, Samuel und sie. Es hat mich nicht gestört. Gut, vielleicht war es manchmal ein bisschen viel. Ein- oder zweimal hab ich die Aufsicht mit George oder Vicky getauscht, um mir eine kleine Pause zu gönnen, aber alles in allem war es okay für mich.
    Zuerst hat sie sich selbst Vorwürfe gemacht, wie gesagt, und dann nach einer Weile hat sie Samuel die Schuld gegeben, was ein Fortschritt war, wie ich fand, und näher an der Wahrheit, zutreffender. Er sei autistisch, hat sie gesagt. Bindungsunfähig. Er könne sich emotional auf nichts Anspruchsvolleres einlassen als ein Buch. Und ich glaube nicht, dass sie was dagegen hat, wenn ich Ihnen das jetzt sage, aber das Sexualleben der beiden: Da war von Anfang an tote Hose. Sie haben es ein Mal getan, hat sie mir erzählt, und danach hat sie den ganzen Tag geweint. Sie ist nicht zur Arbeit gekommen. Sie ist zu Hause geblieben, hat das Bett abgezogen, sich in die Badewanne gesetzt, Pralinen in sich reingestopft und sich abends den Finger in den Hals gesteckt. Keine Ahnung, wie Samuel reagiert hat. Wahrscheinlich war er einfach weiter Samuel. Vielleicht dachte er, es wäre ganz gut gelaufen. Er ist schließlich ein Mann.
    Na ja, jedenfalls hat sie es vor allem aus einem Grund getan, nämlich, weil sie wollte, dass Samuel mal etwas Leidenschaft zeigt, sie spüren lässt, dass er etwas für sie empfindet. Tief im Inneren war es das, was sie sich gewünscht hat. Sie hat gesagt, sie wäre über ihn hinweg. Das hat sie zu mir gesagt, und ich habe es ihr wohl auch geglaubt. Sie hat nicht mehr von ihm geredet. Und wenn, dann hat sie auch über ihn gelacht. Unsere kleinen Plaudereien wurden wieder wie früher. Ich tauschte keine Aufsichten mehr. Oder wenn, dann höchstens, um mich mit Maggie abzustimmen. Ich dachte wirklich, sie wäre über ihn hinweg. Aber anscheinend ja doch nicht. Offensichtlich nicht, denn warum sonst hätte sie mit TJ ins Bett steigen sollen?
    Und so ist Samuel dahintergekommen. Es muss im Mai gewesen sein, oder spät im April, Ende April. Maggie war seit ungefähr einer Woche oder so mit TJ zusammen. Fragen Sie mich nicht, wie das zustande kam. Kurz gesagt, Maggie war einsam, und TJ hatte es nötig, und sie sind sich über den Weg gelaufen, als sie beide gerade Bock auf Sex hatten. Ende. Aber es war nicht das Ende. Besser wär’s gewesen. Sie hätten es bei dem einen Mal belassen sollen. Übrigens, raten Sie mal, wo sie es getan haben. Ich sollte Ihnen das zwar eigentlich nicht erzählen, aber raten Sie mal.
    Ja, aber nicht einfach nur in der Schule. Ich sag es Ihnen: in der Jungen-Umkleide. Können Sie das glauben? Ich meine, das ist doch echt abartig. Dieser Geruch nach Halbwüchsigen und modrigen Handtüchern. Aber ich hätte Ihnen das nicht erzählen sollen. Versprechen Sie mir, dass Sie die Stelle löschen. Ich hätte Sie bitten müssen, kurz auf Stop zu drücken, oder?
    Wo war ich stehengeblieben? Ach so, ja. Maggie und TJ . Sie wissen ja, was ich über Maggie gesagt habe, über Maggie und Männer, die bemuttert werden müssen, die sich benehmen wie Kinder. Na ja, TJ ist das beste Beispiel. Und da war noch etwas bei ihr, etwas Unterschwelliges, dieser Drang, Samuel eifersüchtig zu machen. Es hätte also da aufhören sollen, wo es angefangen hat. Hätte sie mir gleich davon erzählt, hätte ich auch was gesagt. Was sie sich bloß dabei denkt, hätte ich sie gefragt. TJ ist ja praktisch nur ein Waschbrettbauch und ein Paar Shorts. Im Oberstübchen spielt sich bei dem nichts ab. Also, einen

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