Ein toter Taucher nimmt kein Gold
braunes, wettergegerbtes, scharfes Gesicht war sehr ernst. »Und wenn sie angreifen?«
»Denken wir nicht daran, Ellen.«
»Erschießen Sie mich vorher, René. Bitte. Ich weiß, was mich bei den Piraten erwartet …«
»Sie sollen nicht davon reden!« knurrte Chagrin. »Ich möchte fast wetten, daß es Hans geschafft hat.«
»Und wenn nicht?«
»Ihre Unkenrufe können weniger harte Nerven als meine zum Zerreißen bringen.«
»Ich will nur Gewißheit, René.« Der Lärm der kleinen Motorboote erstarb. Pedros Streitmacht war wieder aufmarschiert und wartete auf das Angriffssignal. »Ich bin so etwas wie ein Ordnungsfanatiker. Auch jetzt. Ich weiß, daß ich mich nie selbst umbringen kann, dazu fehlt mir der Mut, auch in der schrecklichsten Situation. Das weiß ich ganz sicher. Aber Sie dürfen mich nicht den Piraten ausliefern, René. Sie müssen mich vorher töten! Warum zögern Sie mit dem Ja? Wochenlang hatten Sie doch nichts anderes im Sinn, als uns alle umzubringen – wegen des Goldes. Jetzt dürfen Sie es. Ich bitte Sie sogar darum …«
»Ellen, Sie sind eine phantastische Frau!« Chagrin zielte auf das Boot, das langsam auf die Nuestra Señora zutrieb. Pedro saß hinter dem Maschinengewehr und hatte ein Megaphon griffbereit in der Hand. Er war bereit, erst zu verhandeln. Das Risiko, beim Entern selbst erschossen zu werden, war ihm zu groß.
»Ich verspreche Ihnen, Ellen«, sagte Chagrin, »daß ich um Sie und um Pascale so lange kämpfen werde, bis es wirklich keinen Zweck mehr hat. Dann sehen wir weiter.«
»Danke, René …« Ellen lächelte schwach. Sie nickte Chagrin zu und blickte dann zu dem vorsichtig herantreibenden Pedro. »Damit machen Sie vieles wieder gut …«
»Ich weiß nicht. Idealisieren Sie mich nicht, Ellen. Ich bin und bleibe ein Ungeheuer …«
Er warf den Sicherungsflügel herum und drückte den Kolben fest in die Schulterbeuge. »So, und jetzt Feuer frei! Auf die Boote unter die Wasserlinie zielen!«
Die erste Salve knatterte los. Auch Pascale, auf dem Dach des Ruderhauses in bester Position, schoß. Aber sie zielte auf einen Mann, und das war der Mexikaner Domingo.
Pedro machte einen Satz, als die Kugeln in sein Boot schlugen, warf sich hinter dem MG in Deckung und brüllte die säuischsten Flüche, die die spanische Sprache kennt. Domingo hinter ihm schrie auf, faßte sich an den rechten Oberarm und sank ohnmächtig um. In den anderen Booten entstand Unruhe. Gewehre und Revolver tauchten auf.
»Zurück!« brüllte Pedro. Seine Chance zu überleben war gering. Die ganze Aktion war überhaupt eine verdammte Sache. Sie konnten ja schließlich das Schiff nicht versenken, weil dann das ganze Geld wieder im Meer versinken würde.
Das Boot ruckte, der Motor heulte auf, und unter den nächsten Schüssen von Chagrin und Ellen raste es von der Nuestra Señora weg. Zufrieden bemerkte Chagrin, daß zwei Männer damit beschäftigt waren, die Schußlöcher mit Stoffetzen abzudichten …
»Das war unsere Grußbotschaft!« sagte er und lachte.
Ellen wußte genau, daß es ein gequältes Lachen war. »Es hat gewirkt. Nun werden sie beratschlagen und auf die Nacht warten. Wir haben ein wenig Ruhe.« Chagrin erhob sich aus seiner Deckung. »Jetzt sind Sie dran, Ellen: Beten Sie, daß Hans die Küste erreicht hat!«
Fast zur gleichen Stunde verließen die beiden Schnellboote den Hafen von Xcalak, während Manuel seinem Maultier Pepito das Lied von der Schlechtigkeit der Menschen vorsang …
Die Sonne färbte sich blutrot und überzog das Meer mit rotgoldenen Streifen. Ein Abend, an dem man dasitzen und mit offenen Augen träumen konnte. Da tauchten am Horizont die beiden Schnellboote auf. Im Radarbild hatte man die Nuestra Señora schon längst geortet, aber an einer ganz anderen Stelle, als Faerber angegeben hatte. Wenn das Objekt auf dem Radarschirm das Taucherschiff war, dann lag es viel weiter südlich als angenommen.
»Sie haben versucht, mit dem letzten Sprit zu flüchten!« sagte Faerber. Er stand neben Kapitänleutnant Caballos auf der Brücke und blickte durch eines der starken Ferngläser. Der Matrose, der oben neben dem Radarmast stand, meldete, daß es ein flaches, breites Schiff mit niedrigen Aufbauten sei.
»Sie sind es!« rief Faerber glücklich. »Sie haben sich aus eigener Kraft durchschlagen können! Das vergesse ich Chagrin nie!«
Caballos sah kurz zur Seite und drückte dann auf einen Knopf auf dem Armaturenbrett. Im ganzen Schiff begann ein wildes Klingeln. Von
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