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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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Man fragte sich, was dieser Teppich wohl gekostet haben mochte, auf den Parker so achtlos seine Zigarrenasche fallen ließ. Wenn man einen Dekorateur zum Vater hatte - Mr. Piggott von der Firma Piggott & Piggott in Liverpool -, verstand man immerhin genug von Teppichen, um zu wissen, daß es hier sinnlos war, den Preis auch nur erraten zu wollen. Und wenn man auf dem dicken Seidenkissen in der Ecke dieses Sofas den Kopf bewegte, wünschte man unwillkürlich, man hätte sich öfter und sorgfältiger rasiert. Das Sofa war ein Monstrum - und trotzdem schien es kaum groß genug zu sein, um einen aufzunehmen. Dieser Lord Peter war nicht groß - eigentlich war er sogar eher klein, aber er wirkte nicht wie ein Zwerg. Er wirkte gerade richtig und gab einem das Gefühl, mit den eigenen einsneunzig geradezu vulgär und anmaßend zu sein; man kam sich vor wie Mutters neue Wohnzimmervorhänge - lauter große, dicke Kleckse. Aber alle waren hier sehr nett zu einem, keiner sagte etwas, was man nicht verstand, und keiner grinste über einen. Auf den Regalen ringsum stand eine Reihe erschreckend tiefschürfend aussehender Bücher, und man hatte einen Blick auf einen herrlichen Dante-Folioband tun können - aber der Gastgeber sprach ganz normal und vernünftig über die Bücher, die man selbst gern las - tolle Liebesromane und Detektivgeschichten. Davon hatte man eine Menge gelesen, da konnte man mitreden, und die andern hörten zu, was man zu sagen hatte, obschon Lord Peter auch wieder so eine merkwürdige Art hatte, über Bücher zu reden, als ob sich ihm der Autor im vorhinein anvertraut und ihm gesagt hätte, wie der Roman aufgebaut war und welchen Teil er zuerst geschrieben hatte. Man fühlte sich daran erinnert, wie der alte Freke eine Leiche auseinandernahm.
    »Was mich bei Detektivgeschichten immer stört«, sagte Mr. Piggott, »ist, wie sich die Leute immer an jede lächerliche Kleinigkeit erinnern, die sie in den letzten sechs Monaten erlebt haben. Sie haben immer die genaue Tageszeit parat und wissen genau, ob es geregnet hat oder nicht und was sie an dem und dem Tag gemacht haben. Das rasseln sie alles herunter wie ein Gedicht. Aber im wirklichen Leben ist das doch nicht so, was meinen Sie, Lord Peter?«
    Lord Peter lächelte, und der junge Mr. Piggott wurde prompt verlegen und wandte sich Hilfe suchend an seinen früheren Bekannten. »Sie wissen, was ich meine, Mr. Parker. Also, ein Tag ist doch so sehr wie der andere, da könnte ich mich jedenfalls nicht erinnern - na schön, ich würde mich vielleicht noch an gestern erinnern, aber ich könnte Ihnen niemals mit Sicherheit sagen, was ich vorige Woche gemacht habe, und wenn ich dafür erschossen würde.«
    »Nein«, sagte Parker, »und die Aussagen, die später in den Polizeiberichten wiedergegeben werden, klingen ebenso unmöglich. Aber so kommt man da auch eigentlich nicht heran. Ich meine, da kommt nicht einer her und sagt: >Vorigen Freitag bin ich um zehn Uhr morgens aus dem Haus gegangen, um ein Hammelkotelett zu kaufen. Als ich in die Mortimer Street einbog, sah ich ein Mädchen von etwa zweiundzwanzig Jahren mit schwarzen Haaren und braunen Augen, grünem Pullover und kariertem Rock, das mit etwa fünfzehn Stundenkilometern auf einem Fahrrad der Marke Royal Sunbeam auf der falschen Straßenseite um die Ecke bei der Kirche St. Simon und St. Jude in Richtung Markt fuhr.< Darauf läuft es letzten Endes hinaus, aber es wird ihm natürlich erst durch eine Reihe von Fragen aus der Nase gezogen.«
    »Und in Kurzgeschichten«, sagte Lord Peter, »wird so etwas als zusammenhängende Aussage wiedergegeben, weil das eigentliche Gespräch zu lang und weitschweifig und mühsam wäre und niemand die Geduld hätte, das zu lesen. Schriftsteller müssen auch an ihre Leser denken.«
    »Schon«, sagte Mr. Piggott, »aber ich wette mit Ihnen, daß die meisten Menschen ganz schöne Schwierigkeiten hätten, sich zu erinnern, selbst wenn man ihnen Fragen stellt. Mir fiele das jedenfalls schwer - natürlich, ich weiß, ich bin auch ziemlich dumm, aber das sind schließlich die meisten Menschen, oder? Sie wissen, was ich meine. Zeugen sind eben keine Detektive, sondern ganz normale Tröpfe wie Sie und ich.«
    »Richtig«, sagte Lord Peter und mußte lächeln, als dem armen Tropf aufging, was er da eben von sich gegeben hatte. »Sie meinen, wenn ich Sie so allgemein fragte, was Sie - sagen wir heute vor einer Woche - gemacht haben, könnten Sie mir aus sich heraus überhaupt nichts

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