Ein Traum in roter Seide
dass du mit einer alten Freundin auf die Hochzeit gehst."
Tyler war sekundenlang so sprachlos, wie sie ihn noch nie erlebt hatte.
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Dann stieß er hervor: „Willst du etwa mit mir auf Kevins Hochzeit gehen?"
„Hättest du etwas dagegen?"
Er sah sie ungläubig an. „Warum willst du überhaupt hinge hen?"
„Weil ich es mir schuldig bin."
„Ich verstehe dich nicht, Michelle", erklärte er. „Wirklich nicht."
Sie lächelte wehmütig. „Meine Mutter ist an Krebs gestorben, als ich dreizehn war, Tyler. Habe ich dir das irgendwann mal erzählt?"
Er runzelte die Stirn. „Nein, das wusste ich nicht. Natürlich wusste ich, dass sie nicht mehr lebt, aber du hast nie erwähnt, woran sie gestorben ist. Aber was hat das mit Kevins Hochzeit zu tun?"
„Nach ihrem Tod wurde ich gefragt, ob ich sie vor der Beerdigung noch einmal sehen wolle, um mich endgültig von ihr zu verabschieden. Ich habe es nicht getan. Stattdessen habe ich mir ein geredet, sie als den lebendigen, liebevollen Menschen in Erinnerung behalten zu wollen, der sie gewesen war. In Wirklichkeit hatte ich jedoch Angst vor der Wahrheit, vor dem Tod und vor dem, was ich sehen würde. Ich bereue es sehr, denn ich ..." Die Stimme versagte ihr, und Michelle fing an zu weinen.
Plötzlich war Tyler neben ihr und nahm sie in die Arme. „O Michelle, Liebes, so etwas darfst du nicht denken. Du warst doch viel zu jung, und sie war deine Mutter. Es war vielleicht sogar ein weiser Entschluss."
„Nein, das verstehst du nicht", stieß sie hervor und löste sich von ihm.
Dann hob sie den Kopf und blickte Tyler gequält an. „Wenn ich sie noch mal gesehen hätte, wäre sie für mich endgültig tot gewesen.
Aber so habe ich jahrelang nie ganz daran ge glaubt, sondern mir vorgemacht, sie sei immer noch da und nur an einem anderen Ort. Erst viel später habe ich mich damit abge funden, dass sie wirklich gestorben war. Wenn Kevin jetzt eine andere heiratet, ist das auch so etwas Endgültiges. Deshalb muss ich es mit eigenen Augen sehen.
Danach ist für mich alles viel leichter."
Tyler schwieg eine Zeit lang und wischte ihr die Tränen mit den Fingern von den Wangen. Als sie sich beruhigt hatte, lächelte er sie an.
„Wenn das so ist, möchte ich dir gestehen, es ist mir eine Ehre, mit dir zusammen auf die Hochzeit zu gehen", antwortete er sanft. „Aber 24
unter zwei Bedingungen."
„Ich bin mit allem einverstanden."
„Okay. Reagier einfach nicht auf die Einladung, die Kevin dir geschickt hat."
Michelle sah ihn mit großen Augen an. Kevin würde zweifellos sehr schockiert sein, wenn sie unvermutet mit Tyler zur Hochzeit erschien.
Der Vorschlag gefiel ihr jedoch. Es wäre so etwas wie eine kleine Rache. „Und die zweite Bedingung?" fragte sie.
In Tylers Augen blitzte es auf. „Zieh dich ganz besonders auf regend und sexy an."
3. KAPITEL
„Was hältst du davon?" Michelle drehte sich langsam im Kreis herum.
Lucille pfiff durch die Zähne. „Wow. Bist du jetzt nicht froh, dass du mich zum Einkaufen mitgenommen hast? Du siehst hinreißend aus in dem Kleid und mit dem Make-up und dem offenen Haar."
Michelle betrachtete sich noch einmal im Spiegel ihrer Frisierkommode. Sie war ganz aufgeregt und freute sich über ihr Aussehen. Als Lucille das königsblaue Outfit aus Seide letzten Samstag in der Boutique entdeckt hatte, hatte Michelle den Kopf geschüttelt und erklärt, es sei zu auffallend. Normalerweise trug sie solche Farben nicht, sondern lieber neutrale, die leichter zu kombinieren waren. Außerdem konnte man sie auch öfter und länger tragen.
Aber Lucille hatte darauf bestanden, dass sie es einmal anprobierte.
Und jetzt stand Michelle hier in dem Seidenkleid mit einem nervösen Kribbeln im Bauch und überlegte, wie Kevin reagieren würde.
Doch viel wichtiger war ihr, was Tyler dazu sagen würde. Seltsam, dass ich viel gespannter auf seine Reaktion bin als auf Kevins, dachte sie.
Tyler hatte sie gebeten, sich aufregend und sexy anzuziehen. Und dieses Outfit war nicht nur sexy, sondern auch sehr elegant. Es war raffiniert geschnitten und umschmeichelte ihre schlanke Gestalt. Sie wirkte darin viel femininer als sonst und irgendwie verführerisch.
„Es hat mich ein kleines Vermögen gekostet", stellte sie fest, obwohl 25
es ihr eigentlich egal war. Es war den Preis wert, wie sie sich eingestand.
„Dein Freund, dieser Playboy, wird sprachlos sein vor Verblüffung, wenn er dich sieht", sagte Lucille spöttisch. „Hoffentlich weißt du, was
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