Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
sich dann doch noch in irgendwelchen Abstellkammern der Iberia und wurde mir aufs Schiff geliefert, hurra!
Grinse in mich hinein und denke mir, dass die vier schmiedeeisernen Sterne unter dem Hotelnamen an der Außenwand vollkommen zu Recht dort prangen. Kaum setzt die Karawane an, nach dem Lift zu suchen, trifft uns die immer noch freundliche Stimme der Concierge im Rücken oder besser in dessen Mark, wir mögen uns noch ein wenig gedulden, bis die Zimmer fertig seien. In vier Stunden.
Aha, also pro Stern eine Stunde.
Dies ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir wünsche, in einem sternlosen Hotel eingecheckt zu haben. Ein Scheppern von draußen reißt mich aus meiner Lethargie und mir ist so, als sei ein Stern gerade runtergefallen, doch da war wohl nur der Wunsch der Vater des Gedankens.
Vier Stunden. 240 Minuten. Was-weiß-ich-wie viele Sekunden.
Und jetzt?
Ich könnte die Zeit nutzen, auszurechnen, wie viele Sekunden das sind, aber das Ergebnis würde sekündlich nicht mehr stimmen und mich nur aufregen.
Schließlich geschieht das, was immer nach geraumer Zeit geschieht, wenn Menschen einen Haufen bilden: er teilt sich auf in Häuflein. Dem überschaubarsten schließe ich mich an, worauf es sich auf die Straße begibt, um zu erkunden. Hunger liegt in der Luft, und wo geht man natürlich hin, wenn man schon mal in einem der führenden chilenischen Badeorte ist: zum Chinesen. Da sich unser aller Spanisch aber in den selbstgesteckten Grenzen hält und wir keine Lust haben, aus Versehen Nudeln mit Pudeln zu essen, ziehen wir dem Hundekuchen lieber den gegenüberliegenden Italiener »Zanetti« vor.
Wir haben kaum den ersten Flipflop auf seine Schwelle gesetzt, da umwabert uns auch schon der vertraute Klangteppich eines Eros Ramazotti, wie uns überhaupt Heimat entgegenschwappt. Niemals hätte ich von mir erwartet, die gerne von Journalisten gestellte Frage »Was ist für Sie Heimat, Herr Herbst?« mit dem Satz zu beantworten, sie sei für mich eine Mischung aus dem Ex von Michelle Hunziker, rot-weiß-grünen Fahnen und Rotweinkorbflaschen, in denen tropfende Kerzen stecken.
Als wir dann von dem italienischst wirkenden italienischen Chef aller Zeiten, der verwirrenderweise auf den Namen Sokrates hört, was zu lesen bekommen, und die ersten Zeilen, auf die unser Augenlicht trifft, aus Vertrautem wie Pizza Margherita und Spaghetti Aglio Olio bestehen, ist mir so, als sähe ich bei der einen oder andern Kollegin etwas Feuchtes die Wange runterrinnen. Kollegen, die seit Jahrzehnten zentnerschwere Lampen an Filmsets hin- und hertragen und die eigentlich nichts mehr erschrecken kann, seit sie mit Helmut Berger und Klaus Kinski gedreht haben, werden unversehens weich wie die Kräuterbutter auf unserem Tisch, und auch ich kann mein »Ubi bene, ibi patria«, zu deutsch »da, wo mein Handy klingelt, bin isch ze Hause«, nicht verhehlen und entblöde mich vor versammelter Mannschaft, das Versprechen abzugeben, noch in Chile alle CD s von Milva, Adriano Celentano und Al Bano und Romina Power runterzuladen.
Sokrates, der sehr wohl den Glanz in unseren Augen wahrnimmt, braucht keinen weiteren Grund, sich mit einer Flasche seines besten Grappas in unsere Runde zu setzen, und mit Sicherheit ist es kein Zufall, dass er den Platz zwischen den blondesten meiner Kolleginnen einnimmt. Da hat der Italiener ein konkurrenzloses Sensorium, wenn es darum geht, das eigene Beuteschema mit Frischfleisch zu bestücken. Wie Jürgen Prochnow seinerzeit in
Das Boot
fährt er sein Periskop aus, hoffend, in den blonden Augen ähnliches Verlangen zu entdecken oder zumindest einen Platz, wo er für einen Moment abtauchen könne. Von diesem Moment an hat er den Spitznamen »U 96« weg, und dieser Name passt doppelt, denn der Jüngste ist er auch nicht mehr.
Im Laufe dieses trestergeschwängerten Nachmittags erfahren wir, dass U 96 vor vielen Jahren zum Ski-Weltcupteam der italienischen Nationalmannschaft gehört hat und nach der Weltmeisterschaft 1979 in dem chilenischen Schneeparadies Valle Nevado in den Anden einfach hängengeblieben ist. Die hochgezogenen Augenbrauen unseres Regieassistenten verraten mir, dass er in diesem Moment dasselbe denkt wie ich, nämlich, dass er nie im Leben »einfach hängengeblieben« ist, sondern schlicht und ergreifend vor dem Abtauchen verabsäumt hat, die Schotten dichtzumachen, sprich, er sich an einem besonders grappaseligen Abend dermaßen weggeschossen haben muss, dass er nicht mehr nach oben
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