Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
bei einer etwas zu huhnhaften Vorbewegung des Kopfes die Schnabelspitze ins Wasser geriet, das ihn gleichsam festhielt und so abrupt abstoppte, dass das arme Flatterteil mehrere Rollen vorwärts machte, um dann äußerst unsanft mit einem Bauchplatscher auf der Wasseroberfläche zu liegen zu kommen.
Sah leider sehr lustig aus.
Wen wundert’s, dass Pelikane am liebsten zusammen mit Tölpeln nisten? Denen können sie sich nämlich überlegen fühlen, da sie die viel größeren sind. Wie der Storch vermag auch der Pelikan seinen Kopf um 180 Grad nach hinten zu werfen. Was nach Headbanging aussieht oder dem verzweifelten Versuch, sich auf keinen Fall übergeben zu wollen, ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass sich das Tier von dem Gewicht seines eigenen Kopfes erholen muss und ihn deshalb rückwärtig ablegt. Der faltige und flatternde, hautfarbene Kehlsack sieht bei diesem Spektakel besonders unschön aus.
Nun, mein neues Lieblingstier wird er bestimmt nicht, aber lustig isser. Zudem kenn ich den Pelikan als symbolträchtiges Abbild aus der katholischen Kirche. Verbindungen zu ihm sind also schon da. Schade, dass er auf dieser Schiffsroute fast gar nicht mehr zu sehen ist. Die kurze Reportage in meinem kleinen Kabinenfernseher hat mir zumindest einen Eindruck verschafft.
13
Mittwoch, 13. Januar, 4.07 Uhr
Oh.
Was weckt mich um diese Zeit auf? Was treibt mich um? Bin hellwach.
Nach einigen sehr intensiven Momenten der absoluten Orientierungslosigkeit versuche ich erfolglos, den Lichtschalter zu betätigen. Er ist weg.
Bitte?
Richte mich mit der Geschwindigkeit eines in der neunten Runde zu Boden gegangenen Schwergewichtsboxers auf in meinem Bett und taumele. Tapsig sucht mein rechter Fuß in der Dunkelheit nach den Pantoffeln, und auch er wird enttäuscht – sie sind weg.
Was?
Wo wollen die denn hin um diese Zeit? Ihre Reisepässe hat die Rezeption und außerdem sind wir mitten auf einem Meer, das größer ist als alle Kontinente zusammen und 4 km tief. Sie werden niemals wo-auch-immer an-, höchstens umkommen.
Muss ich mir Sorgen machen? Soll ich sie ausrufen lassen?
»Herr Herbst aus Kabine 417 hat Hausschuh und Lichtschalter verloren. Sie möchten sich bitte umgehend auf Deck 5 melden!«
Vielleicht habe ich gestern genau ein Bier zu viel getrunken oder wurde ich bestohlen? Erfüllt von der Angst, einer meiner geriatrischen Sitznachbarn im Café gestern könnte mir aus Rache für meine inadäquaten Beschreibungen der mitfahrenden Klientel irgendeinen halluzinogenen Pilz in mein Törtchen geschmuggelt haben, taste ich nach der Stelle, wo ich das Fenster vermute, spreize den metallenen Lamellenvorhang mit der rechten Hand und spüre, wie meine linke in etwas Klebrig-weichem landet. Größer noch als mein Schreck ist die Duftwolke, die im selben Moment mein Zimmerchen erfüllt, ein Duft, der sich auf einmal wie ein Schrank vor mir aufbaut, ein Schrank, der nach Ammoniak riecht: scharf, stechend, beißend.
Wieder wird mir schwindelig.
Wage mit dem letzten Rest meines Bewusstseins einen Blick nach draußen und sehe – nichts. Es ist stockdunkel, und was mir wie Wasser vorkommt, könnte schon Himmel sein, und umgekehrt. Lasse die Lamellen zurückschnellen, worauf das komplette Rollo nach oben schießt und mich so unglücklich am Kinn erwischt, dass ich nach hinten geschleudert werde. Finde mich wie gerädert auf meinem Bett wieder. Wische mir reflexartig mit der linken Hand durch das Gesicht. Mir bleibt fast der Atem stehen aufgrund dieser Selbstanästhesierung. Meine Hand fällt eindeutig unter das Betäubungsmittelgesetz.
Abermals reißt es mich rum und gleichzeitig trifft mich etwas Kugelartiges an der Schläfe. Während ich mich wieder aufrichte wird mir klar, dass ich nicht alleine bin und der Licht- und Birkenstockdieb nun versucht, mich umzubringen. Mein Gott, die MS Schwarzwaldklinik mutiert zur MS Stammheim. Ich befinde mich mit Hunderten von Kriminellen auf einem fahrenden Hochsicherheitstrakt mitten im rechtsfreien Raum! Als würde mich jemand schubsen, falle ich zur Seite.
Wankend rappel ich mich hoch, bereit, mich zu verteidigen. Man kann mir meinen Atem nehmen, meine Lieblingsschlappen und meine Würde, aber an meinem Leben hänge ich. Als ich mich dabei ertappe, wie ich torkelnd die Pose eines Boxers einnehme, linke Faust in Kinnhöhe, die rechte leicht ausgestreckt und bereit zum tödlichen Schlag, wirft es mich zu Boden, worauf die in einer Ecke des Raums befindliche Stehlampe
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