Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
so glücklich auf mich fällt, dass sie angeht.
Meine Augen schreien auf angesichts der plötzlichen 100-Watt-Keule, und nach einem kurzen Moment der Gewöhnung versuche ich, die Lage zu checken: als Erstes fällt mir zu meiner Erleichterung auf, dass kein ungebetener Gast mit mir das Zimmerchen teilt.
Aber wie kann es sein, dass ich so wesentliche Dinge nicht habe finden können, ich diesen ständigen Drehschwindel habe und was um alles in der Welt hat es mit diesem Ätzgeruch auf sich?
Die Antworten sind so schnell gegeben, wie sie mich peinlich berühren.
Es herrscht einfach nur ein unfassbarer Seegang, der die Mandarinen in der Obstschale neben dem Bett zu Wurfgeschossen hat werden lassen, während die anderen Früchte den Zenit ihres Reifegrades bereits überschritten haben. Die Pfirsich- und Pflaumenschlieren in meinem Gesicht sprechen eine eindeutige Schleimspursprache. Durch das ständige Auf und Ab des gesamtens Schiffes haben sich nicht nur meine Pantoffeln unter das Bett verdrückt, sondern sich auch mehrere meiner Bücher vor dem Lichtschalter platziert.
Noch während ich wie Hercule Poirot, wenn auch in eigener Sache recherchierend, versuche, alle Beweise zu sichern und die Indizienlage zu bestimmen, stelle ich meine Ermittlungen mit der Erkenntnis ein, dass auch bei eingeschaltetem Licht eines nicht aufgehört hat: der Seegang. Enorme Winde versetzen den riesigen Pott dermaßen, dass er wie eine überdimensionale Wippe auf- und niederfährt, auf und nieder, so dass sich inzwischen vielleicht alle Schuhe, Bücher und auch das eine oder andere Obst an einem neuen Ort häuslich eingerichtet haben, nur einer noch nicht: ich!
Meine Güte, wie es mir geht, vermag ich in etwa einzuordnen, aber wie nur muss es in diesem Augenblick allen anderen Gästen ergehen? Teilweise könnten sie meine Urgroßeltern sein und plötzlich steigt so etwas wie ein Gefühl der Solidarität in mir hoch. Haben sie sich gegenseitig am Bett festgeschnallt, aufeinandergelegt oder sonstwie fixiert? Was, wenn sich Röhrchen lebenswichtiger Dauerkatheter lösen und wie herrenlose Feuerwehrschläuche verselbständigen? Hoffentlich versagen zumindest die Haftcremes nicht ihren Dienst.
Nach wie vor wie betrunken schleudert es mich von einer Seite zur anderen, nach vorne und hinten, und so, als wollten sich auch meine Organe ein neues Zuhause suchen, sprechen sie sich zumindest mit dem Magen ab, seinen Inhalt freizugeben.
»Mooooment!«, denk ich mir, »der Herr meines Magens bin immer noch ich!«
Dachte ich.
Im selben Augenblick zeigt er mir, wer hier die Hosen anhat, und ich erbreche mich auf die reich verzierte Auslegeware.
Das letzte Wort, das ich stammele, ist »Mama!«, bevor ich in der eigenen Pfütze vor Erschöpfung einschlafe.
14
Ausgeschifft
Gestern überließen wir die MS Deutschland ihrem Schicksal und checkten zu den unvermeidlichen Klängen des original
Traumschiff
-Soundtracks aus. Den Verstörtesten von uns entlockte dieser Pawlow Tränen; die meisten von ihnen wurden allerdings in Knopflöchern gesichtet. Die überwiegende Reaktion war das augenblickliche Wiederkehren von Speichel und Schluckreflex. So hat halt jeder seine eigene Sicht auf das Schiff und die Zeit auf ihm. Meine persönliche ist sicherlich irgendwo in der Grauzone dazwischen, gehörte ich ja zeit meines Lebens zu den Rosinenpickern, die über das Talent verfügen, allem was Schönes abgewinnen zu können. Ob ich so viel Alkohol an Bord getrunken habe, nur weil er schmeckte, vermag ich indes nicht zu beurteilen.
Bis wir in zwei Tagen von Santiago aus zu unserem Endziel Bora Bora aufbrechen, werden wir in dem chilenischen Küstenort Valparaiso Viña del Mar gelagert. Der euphemistische Name verspricht Paradiesisches und noch mehr Wein, und fürwahr, wenn man genug davon trinkt, verklärt sich die Hölle zur Oase, und man kann den Gründervätern vergeben, die diesen Ort in seiner architektonischen Ästhetik so gestaltet haben, dass sich die Einwohner Berlin-Marzahns oder Magdeburgs vor der Wende sofort heimisch fühlen würden.
Als wir gegen 12 Uhr in unserer Interimsherberge ankommen, immerhin ein Tross von insgesamt sechzig Leuten, verläuft das Einchecken unerwartet problemlos: Freundlich werden uns die Keycards zu unseren Zimmern ausgehändigt, und jeder Einzelne kann es kaum erwarten, nach drei Stunden im Bus endlich die eigene Dusche anzutesten.
»Wunderbar.« Habe mittlerweile ja sogar wieder Wechselwäsche, und mein Koffer fand
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